Die BRAVO bietet gleichermaßen Beispiele für guten und schlechten Journalismus
Ein Gastbeitrag von Erwin In het Panhuis
Seit 1956 hat die Bravo Generationen von Jugendlichen aufgeklärt. Das Thema Homosexualität war jedoch zunächst tabu und wurde erst ab Mitte der 1960er-Jahre zum Thema: als krankhafte Abweichung vom Normalen und, um die Jugend vor Verführung zu warnen. Ab 1969 kam mit Dr. Sommer die sexuelle Offenheit. Doch homosexuelle Themen kamen nicht nur in den Aufklärungsseiten zur Sprache: In meiner Untersuchung der BRAVO habe ich in den etwa 2600 Heften der ersten 50 Jahre rund 900 Beiträge mit homosexuellem Bezug gefunden und ausgewertet.
Nicht gleich, aber gleichwertig
Dabei zeigte sich: Die Berichterstattung der BRAVO zur männlichen und weiblichen Homosexualität ist nicht gleich aber gleichwertig. Im Rahmen der Sexualaufklärung, die von BRAVO selbst gestaltet ist, werden Schwule und Lesben zwar gleich oft, aber nicht gleichbehandelt. Ohne Wertung werden so die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der Pubertät deutlich. In den Bereichen Film und Musik, bei denen BRAVO auf die Berichte von außen angewiesen ist, wird zu mehr als 80 Prozent über Schwule berichtet. Das ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass sich die geringe Präsenz von Lesben in der Musikszene auch in der Häufigkeit der Berichterstattung niederschlägt.
Die BRAVO als Begleiterin in der Pubertät
Die Journalistinnen und Journalisten der BRAVO haben eine besondere Verantwortung, weil sie jungen Menschen in der sensiblen Phase der sexuellen Selbstfindung Impulse und Ratschläge geben, die diese oft für den Rest ihres Lebens verinnerlichen. In der Pubertät hört man nicht mehr auf die Eltern. Die frühere Millionenauflage der BRAVO und die enge Leser-Blatt-Bindung verdeutlichen, dass Jugendliche nicht nur auf die Ratschläge des besten Kumpels oder der besten Freundin, sondern auch auf die der BRAVO „hören“ beziehungsweise „gehört“ haben.
Dr. Sommer und das Dr. Sommer-Team
Wie seriös sich der Journalismus in der BRAVO darstellt, ist zunächst von der Rubrik abhängig. Die Beiträge von Dr. Sommer beziehungsweise dem späteren Dr. Sommer-Team sehe ich fast ausnahmslos als vorbildlich und seriös an. Bestimmte journalistische Vorgehensweisen widersprechen nicht diesem Bild. So ist die Verwendung von Satzbausteinen bei Antworten zu Leserbriefen nicht per se illegitim und vermutlich die einzige Möglichkeit, Tausenden von Jugendlichen postalisch, per E-Mail oder – in weniger auffallender Form – in der BRAVO mit gleichen und ähnlichen Problemen zu helfen. Frei erfundene Probleme sind für mich nur bedingt problematisch, weil auch Antworten auf fiktive Probleme wichtige Hilfestellungen sein können. Mehrere Beiträge über HIV und Aids sehe ich jedoch kritisch: Wenn in der Beratung das Schlucken von Sperma noch nicht einmal problematisiert wird (2000/11), ist dies für mich sogar verantwortungslos.
Unseriöse BRAVO
Wie unseriös die BRAVO sein kann, wird aber vor allem aber dann ersichtlich, wenn man die anderen Rubriken der Zeitschrift unter die Lupe nimmt. Dies wird etwa bei Beiträgen über gleichgeschlechtlichen Missbrauch deutlich. In einem Artikel wird für die Illustration eines Missbrauchs eine erotische Situation zwischen einer Lehrerin und einer Schülerin nachgestellt und das Foto im Weichzeichner-Stil sogar mit dem Hinweis „Stimmungsvolle Bilder zum Sammeln“ versehen (1975/8). Der Text ist gleichermaßen verantwortungslos, weil er unter anderem eine Mitschuld des Opfers suggeriert. In einem anderen Fall ist ein Beitrag über Kinder-Prostitution in der Dritten Welt (2000/30) geprägt von den für die Boulevard-Presse typischen großformatigen Fotos, die fast nackte Jungen und Sextouristen mit einem Balken vor dem Gesicht zeigen. Es ist ein Beitrag der in destruktiver Hinsicht Kindern und Jugendlichen Angst macht und lähmt.
Biographische Portraits mit Phantasie
Insbesondere bei biographischen Portraits schwuler Männer ist erkennbar, dass „Fakten“ verändert oder ausgedacht werden. Nach Interviews mit Sven Norenkemper und Sven Hanselmann ist bei den Beiträgen über sie (1997/17 und 2004/50) belegbar, dass die Altersangaben verändert wurden, damit die jungen Männer besser zur jugendlichen Zielgruppe passen. Außerdem wurden „Fakten“ – wie die Reaktionen der Eltern und Freunde – erfunden, um eine dramatische und spannende BRAVO-Story zu erhalten.
Journalistische Doppelmoral
Wenn BRAVO in Bezug auf den Sänger Limahl zunächst Gerüchte über seine Homosexualität in Umlauf setzt (1983/42) und ihn später gegen solche „bösen Gerüchte“ in Schutz nimmt (1983/44) ist journalistische Doppelmoral erkennbar. Ein ähnlicher Sachverhalt ergab sich nach dem Outing von Hape Kerkeling durch Rosa von Praunheim. Die BRAVO berichtete darüber und diskutierte, ob Stars geoutet werden dürfen. Unter der Überschrift „Lasst den schwulen Stars ihr Privatleben!“ positionierte sich die BRAVO deutlich. Im selben Heft (1992/6) griff die BRAVO jedoch auch die Gerüchte über die Homosexualität von Michael Jackson auf, was als indirekter Outing-Versuch interpretiert werden kann: auch dies ein klarer Fall von journalistischer Doppelmoral. Vom Beitrag über Hape Kerkeling zu dem von Michael Jackson musste man noch nicht einmal umblättern; sie finden sich gemeinsam auf einer Doppelseite.
Aufklärung und Aufregung – 50 Jahre Schwule und Lesben in der Bravo: ein Multimedia-Vortrag von Erwin In het Panhuis
Montag, 4. Mai 2015, 19:15 Uhr
Vortragsbeginn: 20:00 Uhr
Ort: „Ruhrpott“
Balduinstraße 20, 50676 Köln
U-Bahn/Tram: Rudolfplatz, Neumarkt oder Mauritiuskirche