Mediawatch

Post an die Redaktionen

Manchmal wundert man sich einfach, wenn man die Zeitung aufschlägt. Hier und da ist es Wert, der Redaktion seine Verwunderung kundzutun…
Sie haben sich auch schon mal „gewundert“? Und es war nicht die Bild-Zeitung? Dann schreiben Sie uns!
 

 

1. Juni 2012, Welt-Online

Die „Welt“ verunglimpft Schwule

Screenshot des Welt-Artikels mit Überschrift "Staatsanwalt knöpft sich schwulen Bürgermeister vor"

Diese Überschrift ist nun nicht mehr online zu finden.

Der Bund Lesbischer und Schwuler JournalistInnen (BLSJ) protestiert gegen einen Artikel in „Welt-Online“ vom 1. Juni 2012. Anlass ist die Berichterstattung über die Anklage gegen den Bürgermeister von Rickenbach in Baden-Württemberg. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Bürgermeister offenbar vor, gemeinsam mit seinem Lebenspartner einen Anschlag inszeniert zu haben. „Welt-Online“ titelt dazu: „Staatsanwaltschaft knöpft sich schwulen Bürgermeister vor“.

Martin Munz, Vorstand des BLSJ: „Warum steht das Wort ’schwul‘ da? Offenbar nur, weil die Überschrift dann besser knallt. Man muss es nur durch ‚jüdisch‘, ‚rothaarig‘ oder ‚heterosexuell‘ ersetzen, um zu merken, wie herabwürdigend und dumm die Formulierung ist. Dabei gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Homosexualität des Bürgermeisters und den Ermittlungen. Zwar könnte der Partner in die mutmaßliche Tat verstrickt sein, doch auch das rechtfertigt die Erwähnung der sexuellen Orientierung nicht; bei einer Ehefrau hätte der Verdacht genauso entstehen können.

Martin Munz: „Genau genommen wird das Schwulsein durch die Überschrift sogar kriminalisiert, denn weswegen sollte sich die Staatsanwaltschaft den Herrn vorknöpfen? Sicherlich nicht wegen seines Bürgermeisterdaseins. Also muss das Schwulsein verdächtig sein. Wir halten die Wortwahl für unangebracht, weil sie falsche Assoziationen nahelegt und Homosexuelle diskriminiert. Diese Überschrift ist eine der schlimmsten Entgleisungen, die wir als Verband in den vergangenen Jahren zu beklagen hatten.“

Mittlerweile wurde die Überschrift auf „Welt-Online“ verändert; sie heißt nun: „Staatsanwalt knöpft sich Provinz-Bürgermeister vor“. Viel besser ist diese Überschrift allerdings auch nicht, findet BLSJ-Vorstand Axel Bach: „Es ist sicherlich nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, sich jemanden „vorzuknöpfen“. Das erinnert doch sehr an den wilden Westen.“

Unbestätigten Informationen zufolge stammte die diskriminierende Überschrift (des im übrigen ansonsten vernünftigen Artikels!) nicht von der Autorin Hannelore Crolly, sondern wurde durch die Online-Redaktion erstellt. Der BLSJ meint: Nachdenken hilft!

Online-Beitrag mit LeserInnen-Kommentaren auf „welt.de“

Nachtrag:
Mittlerweile liegt eine zerknirschte Reaktion vor: Der Chefredakteur der Welt-Gruppe, Jan-Eric Peters, schreibt, dass er unserem Protest „(leider) kaum etwas entgegenzusetzen“ habe. Weiter: „Die von Ihnen kritisierte Überschrift auf „Welt Online“ ist auch aus meiner Sicht nicht tragbar und entspricht nicht unseren üblichen Standards. (…) Ich kann es im Nachhinein nur auf das hektische Tagesgeschäft in der Online-Redaktion zurückführen, weshalb der Artikel mit der kritikwürdigen Zeile auf „Welt Online“ erschienen ist.“
Fehler eingesehen und öffentlich eingestanden. Chapeau! Das schaffen nicht alle.

 

11. Mai 2012, Süddeutsche Zeitung

Obama schützt vor Fehlern nicht

US-Präsident Barack Obama möchte sich für die Homo-Ehe einsetzen – das ist in diesen Tagen Anlass für viel Berichterstattung auf allen Kanälen. Und dabei passieren natürlich auch wieder Fehler; zum Beispiel bei der Süddeutschen Zeitung am Freitag, den 11. Mai.
In dem Artikel „Bekenntnis mit Risiko“ auf Seite 8 und in einem dazu gehörenden Kommentar („Obamas Coming-out“) schreibt der Autor mehrfach von der „Schwulenehe“. Damit wird mal wieder die Hälfte der Homosexuellen, nämlich die Lesben, ausgeschlossen. Dabei verwendet der Autor an anderer Stelle den unverfänglichen – und korrekteren – Begriff „Homo-Ehe“. Ergänzend ist in dem Kommentar von der Gleichbehandlung „homosexueller und lesbischer Paare“ zu lesen, ganz so als wären die Begriffe „homosexuell“ und „lesbisch“ ein Gegensatz-Paar. Dabei ist „homosexuell“ natürlich der Überbegriff für „schwul“ und „lesbisch“. Und schließlich stößt da auch noch die Sache mit dem Bekenntnis auf: Im Artikel heißt es, dass sich Soldaten in der Armee offen zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen. Ein Bekenntnis legt man jedoch entweder zu einer Straftat oder einem Glauben ab. Gottseidank gehört Homosexualität seit geraumer Zeit weder zu dem einen noch zu dem anderen. Dass die Soldatinnen und Soldaten offen lesbisch oder schwul leben dürfen, wäre eine angemessenere Formulierung gewesen.
Der BLSJ hat der Redaktion einen freundlichen Brief geschrieben und wartet gespannt auf eine Reaktion.