2009Hamburg
Christine Schön und Frank Stocker
Felix-Rexhausen-Preis 2009 für Beiträge in SWR2 und Welt am Sonntag
BLSJ zeichnet Christine Schön und Frank Stocker aus
Welch ganz spezifische Probleme lesbische und schwule Menschen in Deutschland bewältigen müssen – das haben Christine Schön im Radiosender „SWR2“ und Frank Stocker in der „Welt am Sonntag“ in herausragender Weise journalistisch aufgearbeitet. Beide sind jetzt in Hamburg mit dem Felix-Rexhausen-Preis 2009 des Bundes Lesbischer und Schwuler JournalistInnen (BLSJ) ausgezeichnet worden.
Der Felix-Rexhausen-Preis wurde am Wochenende auf dem Hamburger „Christopher Street Day“ von Lilo Wanders überreicht. Die Preisträger teilen sich das auf 1000 Euro verdoppelte Preisgeld. Der BLSJ vergibt den Preis seit 1998 jährlich und würdigt damit ein besonderes publizistisches Engagement bei der Berichterstattung über Lesben und Schwule.
Christine Schön spürt in ihrer O-Ton-Collage „Nachhall. Junge Lesben suchen nach ihrer Geschichte“ (SWR2, 15. April 2009) auf, wie sich lesbische Lebenswelten binnen eines halben Jahrhunderts verändert haben. Namens der Jury lobt Arnd Riekmann den Beitrag der Berliner Journalistin als „elegantes Hörfunkglanzstück, das berührt und zum Nachdenken anregt“. Christine Schön stellt die Coming-out-Erfahrungen von acht Lesben aus zwei Generationen gegenüber. Trotz Jahrzehnten des Fortschritts und der Emanzipation haben sich die Schwierigkeiten dabei kaum verändert. „Obwohl die Autorin auf erläuternde Zwischentexte verzichtet, schafft sie es, dass dieses überraschende Fazit nicht explizit ausgesprochen wird, sondern sich beim Hörer von selbst einstellt“, würdigt die Jury.
Frank Stocker arbeitet in seinem Feature „Wenn Liebe nur finanzielle Nachteile bringt“ (Finanzseite der Welt am Sonntag, 22. Februar 2009) heraus, wie der Gedanke einer gleichgeschlechtlichen Ehe im Gesetzgebungsprozess politisch zerrieben wurde. „Vom Anspruch auf Gleichberechtigung homosexueller Partnerschaften sind am Ende nur die Pflichten im Gesetz gelandet – aber viele Rechte auf der Strecke geblieben“, sagt Jury-Mitglied Arnd Riekmann. Er hebt hervor, dass dem Frankfurter Journalisten ein handwerklich solides Feature gelungen sei. „Für homosexuelle Leserinnen und Leser hat der Beitrag einen hohen Nutzwert – für alle anderen hat er einen hohen Erkenntnisgewinn.“ Die Jury war beeindruckt von der Souveränität und Leichtigkeit, mit der Frank Stocker Information, Service und politische Analyse verknüpft.
Sonderpreis für Andreas Völlinger
Die Jury vergab in diesem Jahr außerdem einen Sonderpreis: Andreas Völlinger wird für seine beiden Artikel „Schwule Hasen und echte Mädels“ und „Voll schwule Superhelden“ im Internet-Magazin Comicgate geehrt. Kenntnisreich und akribisch habe Völlinger die erste umfassende Bestandsaufnahme zu Homosexualität in Comics geschaffen.
Kurzbegründungen der Jury für die nominierten Beiträge
Christine Schön: „Nachhall. Junge Lesben suchen nach ihrer Geschichte“
In ihrer O-Ton-Collage „Nachhall. Junge Lesben suchen nach ihrer Geschichte“ stellt Christine Schön acht Lesben aus zwei Generationen vor. Alle Frauen erzählen von dramatischen Wendepunkten und einschneidenden Erlebnissen während des Coming-outs, das die Älteren in den 1950er-Jahren erlebten, die Jüngeren hingegen in der Gegenwart. Geschickt stellt Christine Schön Schilderungen gegenüber, zwischen denen ein gutes halbes Jahrhundert liegt. Die mit viel journalistischem Gespür ausgewählten Interviewpartnerinnen erzählen unverkrampft und ohne Selbstmitleid von ihren teils erschreckenden und bedrückenden, oft aber auch lustigen und lustvollen Erlebnissen. Die Berliner Hörfunkautorin verschränkt die gesammelten Statements kunstvoll mit historischem Archivmaterial und Musik.
Christine Schön gelang eine dichte Collage, die ohne jede Frage spannend und unterhaltsam ist, aber auch berührt und zum Nachdenken anregt. Obwohl die Autorin auf erläuternde Zwischentexte verzichtet, schafft sie es, ein umfassendes Bild der Lebenswege ihrer Protagonistinnen zu zeichnen. Trotz Jahrzehnten der Emanzipation und des immensen Fortschritts bei der gesellschaftlichen Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Lebensweisen haben junge Lesben, so zeigt sich, beim Coming-out heute noch ähnliche Schwierigkeiten wie die homosexuellen Frauen im Nachkriegsdeutschland. Für die hohe Qualität dieses eleganten Hörfunkglanzstückes spricht auch, dass dieses überraschende Fazit nicht explizit ausgesprochen wird, sondern sich beim Rezipienten nach den gehörten Lebensgeschichten von selbst einstellt.
Frank Stocker: „Wenn Liebe nur finanzielle Nachteile bringt“
In seinem Feature „Wenn Liebe nur finanzielle Nachteile bringt“ – erschienen auf der Finanz-Seite der Welt am Sonntag – zeigt Frank Stocker, welche teils drastischen finanziellen Nachteile eine Verpartnerung im Zuge der sogenannten Homo-Ehe mit sich bringt. Am Beispiel eines schwulen und zweier lesbischer Paare macht der Autor konkret, in welchen Bereichen eingetragene Lebenspartner mit Ehepaaren gleichgestellt werden und wo eben nicht. Gerade die Ungleichbehandlung in finanziellen Dingen erweist sich als so eklatant, dass man hier nur von einem Skandal sprechen kann.
Frank Stocker ist ein handwerklich solides Feature gelungen, welches das Thema in schnörkellos-sachlicher und immer verständlicher Sprache umfassend ausleuchtet. Für homosexuelle Leserinnen und Leser hat der Beitrag einen hohen Nutzwert – für alle anderen hat er einen hohen Erkenntnisgewinn. Die Jury war beeindruckt von der Souveränität und Leichtigkeit, mit der Frank Stocker Information, Service und politische Analyse verknüpft. Bemerkenswert erscheint zudem, dass der Autor gerade in einem bürgerlich-konservativen Medium unmissverständlich herausgearbeitet hat, wie im Gesetzgebungsprozess der Gedanke einer gleichgeschlechtlichen Ehe politisch zerrieben wurde: Vom Anspruch auf Gleichberechtigung homosexueller Partnerschaften sind am Ende nur noch die Pflichten im Gesetz gelandet – aber viele Rechte auf der Strecke geblieben. So beinhaltet dieses hervorragend recherchierte, sachlich argumentierende Feature eine große gesellschaftspolitische Sprengkraft, die es unbedingt zu würdigen gilt.
Charlotte Frank: „Immer auf der Flucht“
Süddeutsche Zeitung, 16.01.2009
Viel zu selten berichten Journalisten über die deutsche Asylpolitik. Charlotte Frank schreibt nicht nur darüber, sie hat auch einen erfreulich anderen Zugriff auf das Thema als üblich. In ihrem Artikel „Immer auf der Flucht“, erschienen am 16. Januar 2009 auf der „Seite Drei“ der Süddeutschen Zeitung, schildert sie das Schicksal zweier schwuler Asylbewerber aus Afrika, denen in ihrer Heimat Gefängnis und Todesstrafe drohen. Angekommen in Deutschland müssen sie, um im Land bleiben zu können, vor Behördenvertretern ihre Homosexualität überzeugend darlegen können, während sie doch jahrelang gezwungen waren, genau diese zu verstecken. Darüber hinaus stehen sie, wie Charlotte Frank eindringlich und ohne jeglichen Voyeurismus zeigt, unter vielfältigem Druck: In den Asylbewerberheimen müssen sie oftmals Zimmer mit anderen Flüchtlingen teilen, die – obwohl selbst politisch verfolgt – voller Hass auf Schwule und Lesben sind.
„Immer auf der Flucht“ ist eine gut geschriebene, informative und packende Reportage über ein brisantes politisches Thema, über das wir viel zu wenig wissen. Charlotte Frank zeigt die menschenunwürdige, ja pervertierte „Prüfungssituation“, der schwule Asylbewerber hierzulande ausgesetzt sind. Und sie macht deutlich, welche fragwürdigen Entscheidungen sich daraus ergeben können. Denn schwule Männer, die in bestimmte, in unserem Kulturkreis geläufige, Klischees passen, bekommen möglicherweise sehr viel leichter ein Asyl, als diejenigen, denen man ihre Homosexualität – gemessen an gängigen Vorstellungen – eben nicht ansieht.
Sonderpreis
Andreas Völlinger: „Schwule Hasen und echte Mädels“ und „Voll schwule Superhelden“
Comicgate.de, 08.09.2008 und 15.09.2008
Außer Ralph Königs Knollennasen und Batman-und-Robin-Homo-Erotik gibt es noch weitaus mehr Gleichgeschlechtliches im Genre der immer beliebter werdenden Bildergeschichten zu entdecken. Diese Erkenntnis hat die Jury Andreas Völlinger zu verdanken. In seinen beiden Online-Artikeln „Schwule Hasen und echte Mädels“ und „Voll schwule Superhelden“ liefert er eine detailreiche und – nach Kenntnis der Jury – die erste umfassende Bestandsaufnahme von „Homosexualität in Comics“. Kenntnisreich und akribisch listet Völlinger schwule und lesbische Charaktere auf, die in japanischen Mangas, Underground-Comics oder Klassikern, wie den Watchmen zu finden sind. Bemerkenswert und nicht ohne Überraschungen ist seine Beschreibung der Rezeptionsgeschichte: Wie gehen Leserinnen, Leser und Verlage mit den lesbischen und schwulen Geschichten und Figuren um?
Die beiden Artikel richten sich in erster Linie an ein Fachpublikum. Trotzdem ist die Jury von Völlingers detaillierter Ausarbeitung so beeindruckt, dass sie ihn mit dem Sonderpreis 2009 ehrt.
Andreas Völlingers Studie, hinter der die Begeisterung des Autors für sein Thema nicht zu überlesen ist, bietet eine hervorragende Referenzquelle mit enzyklopädischem Charakter, nicht zuletzt für Journalisten. Und genau das würde sich die Jury wünschen, dass Völlingers kleine Pionierarbeit einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wird.