Kölner Appell

BLSJ: Entscheidung des Presserats Gefahr für kritischen Journalismus

Protest gegen Einschätzung zur „taz“-Berichterstattung über Bundesumweltminister Peter Altmaier

Nach Ansicht des Presserats hat die Berichterstattung der „taz“ über das Beinahe-Coming-out von Bundesumweltminister Peter Altmaier gegen den Pressekodex verstoßen, weil das Persönlichkeitsrecht Altmaiers verletzt worden sei. Nur weil der Artikel online entfernt wurde und sich die Chefredakteurin erklärt habe, sei von weiteren Maßnahmen (beispielsweise eine Missbilligung oder eine Rüge) abgesehen worden. Erst jüngst wurde bekannt, dass der Presserat in der Kolumne von Franz-Josef Wagner in „Bild“ vom 23. August 2012 keinen Anlass zur Beanstandung sah.
Diese Entscheidungen des Presserats nimmt der BLSJ zum Anlass für einen offenen Protestbrief an den Presserat. Nach Ansicht des BLSJ gefährdet die „taz“-Entscheidung die Grundlage für einen kritischen Journalismus in Deutschland. Die Begründung des Presserats sei diskriminierend.

Im Folgenden dokumentieren wir den Offenen Brief an den Presserat:

An den
Deutschen Presserat
Postfach 100 549
10565 Berlin

Protest gegen Ihre Entscheidung in Sachen Peter Altmaier / „taz“

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit diesem offenen Brief protestieren wir gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses des Presserates, nach der die Kolumne von Jan Feddersen in der „tageszeitung“ über das Interview der „Bild am Sonntag“ mit Peter Altmaier im Sommer dieses Jahres gegen den Pressekodex verstoßen habe.
Der BLSJ respektiert es, wenn Prominente ihr Privatleben privat halten möchten. Bundesumweltminister Peter Altmaier hat mit seinem Interview in der „Bild am Sonntag“ jedoch deutlich gemacht, dass er sein Privatleben nur bedingt privat halten möchte. In dem Interview geht es über weite Strecken nur um Privates: Das fängt an mit dem Foto (Altmaier in seiner Küche mit einer Pfanne Bratkartoffeln) und Informationen über sein Frühstücksverhalten (häufig Heidelbeeren und frischer Joghurt) an. Selbst um eine Antwort auf die Frage „Warum findet man in den Archiven nichts von einer Partnerin?“ ist er nicht verlegen. Wie selbstverständlich beschreibt er sich als „geselligen und kommunikativen Menschen“, bei dem es „der liebe Gott so gefügt“ hat, dass er „unverheiratet und allein durchs Leben“ gehe. „Ich hadere nicht mit meinem Schicksal. Wenn es anders wäre, wäre ich längst verheiratet oder in einer festen Beziehung.“
Wer sein Privatleben in der Öffentlichkeit selbst so prominent exponiert, hat nicht nur nach Ansicht der deutschen Rechtsprechung nur noch einen eingeschränkten Anspruch auf Schutz seiner Privatsphäre. Eine weitergehende Berichterstattung über sein Privatleben ist daher zulässig und verstößt aus unserer Sicht nicht gegen den Pressekodex.
Hinzu kommt, dass Altmaier in dem Interview eine falsche Fährte legt: Er spricht von „verheiratet“. Genau dieser Familienstand bleibt Homosexuellen in Deutschland verwehrt.

Die „tageszeitung“ reagierte auf dieses Interview – und zwar nicht mit einem Outing, sondern lediglich mit einigen Fragen („Meidet er das Thema H… und das schlimme Sch…-Wort weil er keine Lust haben könnte, der erste offene H … seiner Partei im Bundesministerrang zu sein?“ „Sind Sie sch…?“). Fragen, die sich zwar auf das Privatleben Altmaiers beziehen, dies aber in einer – angesichts der von Altmaier vorgegebenen Thematisierung seines Privatlebens – angemessenen Weise. Nicht zuletzt bemüht sich die „taz“ darum, jene falsche Fährte zu hinterfragen, die Altmaier selbst vorgegeben hatte und stellt damit jene Fragen, die eigentlich dringend die „Bild am Sonntag“ hätte stellen müssen.
Für den BLSJ stellen diese Fragen kein Outing dar! Wir sind sehr erstaunt, dass eine Kolumne, die – wenn auch umständlich – die richtigen Fragen stellt, einen Verstoß gegen den Pressekodex darstellen soll. Eine solche Auslegung des Pressekodex halten wir für grundsätzlich falsch. Sie gefährdet die Grundlage für einen kritischen Journalismus.
Aber selbst wenn man die Fragen der „taz“ als Outing interpretiert, wäre zu analysieren, in welchen Fällen ein Outing gerechtfertigt sein kann. In diesem Zusammenhang erlauben wir uns, auf unseren bereits vor elf Jahren formulierten „Kölner Appell“ hinzuweisen. Dieser lautet:

1. Der BLSJ fordert lesbische, schwule und bisexuelle Personen des öffentlichen Lebens auf, kein Geheimnis aus ihrer sexuellen Orientierung zu machen und dadurch zu einem entspannten und selbstverständlichen Umgang mit lesbischen, schwulen und bisexuellen Lebensweisen beizutragen.
2. Der BLSJ fordert JournalistInnen und Medien auf, die sexuelle Orientierung von lesbischen, schwulen und bisexuellen Personen des öffentlichen Lebens nicht länger zu tabuisieren. Die Erwähnung der sexuellen Orientierung ist insbesondere dann wichtig, wenn sie für das Verständnis einer Nachricht oder Geschichte bzw. zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Person erforderlich ist.
3. Der BLSJ appelliert an JournalistInnen und Medien, in der Berichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens zwischen sexueller Orientierung und Privatleben zu unterscheiden und dabei alle Menschen gleich zu behandeln.

Was bedeutet der „Kölner Appell“ für den Fall Altmaier? Sicherlich ist Peter Altmaier nicht durch besonders konservative Thesen zum Familienbild aufgefallen. Vielmehr gilt er als Vertreter einer vergleichsweise modernen CDU. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich jedoch ein vielschichtigeres Bild.
In dem Interview bringt sich Altmaier ausdrücklich in den Zusammenhang mit einer Hochzeit. Just diese Hochzeit verwehrt seine Partei Lesben und Schwulen seit Jahren. Nicht nur das: Altmaier selbst hat in einer Abstimmung im Deutschen Bundestag im Juni 2012 gegen die Gleichstellung der Lebenspartnerschaft gestimmt.

Altmaier betreibt ein gezieltes Rosinen-Klauben bezüglich der Darstellung seines Privatlebens, das die Realität bewusst verschleiert. Er gibt nur so viel preis, wie es ihm vermeintlich nützt. Weil Altmaier selbst wesentliche Teile seines Privatlebens offengelegt und dabei einen verfälschten, ihm und seiner Wählerschaft genehmen Eindruck erweckt, würden wir unter diesen Umständen ein Outing für gerechtfertigt halten. Es würde hier nicht um ein lustvolles, sensationsheischendes Outing gehen, sondern darum, Altmaiers Schauspiel zu hinterfragen. Stattdessen hat die „Bild am Sonntag“ mal wieder das Klischee des „eingefleischten Junggesellen“ bedient. Insofern widersprechen wir Ihrer Darstellung, dass es kein öffentliches Interesse an der Berichterstattung gegeben habe, das den Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen überlagert hätte.
Wenn es denn stimmt, dass Lesben und Schwule in unserer Gesellschaft mittlerweile anerkannt sind, darf die Homosexualität eines Menschen nicht schutzbedürftiger sein als die Heterosexualität eines Menschen. Bedauerlicherweise sieht die Realität noch immer anders aus: Die „sexuelle Orientierung“ wird in der Öffentlichkeit häufig nur dann als „Privatsache“ behandelt, wenn es sich um Lesben und Schwule handelt. In dieser Tradition lesen wir auch Ihre Argumentation, wonach „mit der Spekulation über die sexuelle Orientierung (…) dessen Persönlichkeitsrecht verletzt“ wurde. Eine solche Unterscheidung ist eine Diskriminierung.
Die journalistische Neugier eines Kollegen zu kritisieren, stellt aus unserer Sicht ein eklatantes Missverständnis von Journalismus dar, gegen das wir hiermit entschieden protestieren. Besonders bedauerlich erscheint uns Ihre Entscheidung, weil Sie quasi gleichzeitig die Beschwerde gegen die Hetze von Franz-Josef Wagner in „Bild“ vom 23. August des Jahres abgewiesen haben. Der BLSJ setzt sich seit vielen Jahren für eine ausgewogene Berichterstattung über Lesben und Schwule ein. Sie dagegen fördern mit diesen Entscheidungen einseitige, diskriminierende Berichterstattung. Kein Ruhmesblatt für den Presserat.

Mit freundlichen Grüßen
Martin Munz
für den BLSJ-Vorstand