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Podiumsdiskussion

Verdrängt, verzerrt, verklärt – Wie Medien über Homosexuelle berichten

Erfolgreiche Premiere für lesbisch-schwule JournalistInnen zur Jahrestagung des Netzwerk Recherche

 

 

Teilnehmer der Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion mit Thomas Lückerath, Inge von Bönninghausen Angela Gobelin (Moderation), Axel Bach und Elke Amberg (von links); Foto: Martin Munz

Frei nach Marlene Dietrichs „Sag mir, wo die Lesben sind …“ hat das „Netzwerk Recherche“ erstmals auf seiner Jahrestagung JournalistInnen eingeladen, über das Bild homosexueller Menschen in den Medien zu diskutieren. Eine erste Erkenntnis der einstündigen Veranstaltung mit rund 30 KollegInnen: Die Berichterstattung über Homosexuelle ist meist eine Berichterstattung über Schwule. Das ist das Ergebnis einer Studie der Kommunikationswissenschaftlerin Elke Amberg, die die wichtigsten Ergebnisse ihrer Analyse präsentierte.

 

Die eingetragene Lebenspartnerschaft wird schnell zur griffigen „Schwulen-Ehe“ verkürzt und Männer dominieren die Fotos zur CSD-Berichterstattung. Selbst in Beiträgen über homosexuelle Frauen meiden die Autoren auffallend häufig das Wort „Lesbe“. „Journalisten haben ein Problem mit den Begriffen ‚lesbisch‘ und ‚Lesbe'“, sagt Elke Amberg. Unter den 81 ausgewerteten Artikeln fand sich keiner mit diesen Begriffen in der Überschrift.

Der Kölner Wissenschaftsjournalist und BLSJ-Vorstand Axel Bach, der seit 2001 den Felix-Rexhausen-Preis leitet, findet es erstaunlich, dass sogar manche eingereichten Beiträge deutliche handwerkliche Mängel enthalten. Er fordert, lesbisch-schwule Themen wie Fachthemen zu behandeln – ähnlich wie Wissenschaft, Reisen oder Sport. „Man kann lesbisch-schwulen Themen nicht gerecht werden, wenn man alleine heterosexuelle Maßstäbe anlegt. Wer sich in der Homo-Welt nicht auskennt, muss sich interessieren und viele Fragen stellen“, so Bach.

 

Podiumsdiskussion auf der "Netzwerk Recherche"-Jahrestagung: Wie die Medien über Homosexuelle berichten; Foto: Martin Munz

Podiumsdiskussion auf der „Netzwerk Recherche“-Jahrestagung: Wie die Medien über Homosexuelle berichten; Foto: Martin Munz

 

Für den Chefredakteur des Branchendienstes DWDL.de, Thomas Lückerath, fehlen neue homosexuelle Vorbilder im öffentlichen Diskurs. „Unter-40-jährige Lesben und Schwule in den Medien sind fast nicht existent, seit der Generation von Hella von Sinnen und Dirk Bach hatten wir lange kein prominentes Coming-out mehr in Deutschland.“ Heute reiche es, im privaten Umfeld schwul oder lesbisch zu leben, ohne es stärker in die Öffentlichkeit zu tragen. Für Lückerath ein Beispiel gesellschaftlicher Verantwortungslosigkeit: „Ich glaube, dass viele Teenager darauf warten, dass sich einer, mit dem sie sich identifizieren können, endlich outet.“ Stattdessen druckten zu viele Zeitungen wider besseres Wissen Interview-Antworten ungeouteter Promis zu heterosexuellen Traumfrauen oder -männern ab, ohne die Lüge publik zu machen.

1973 konnte die „Bild“ noch ganz offen homosexuellenfeindlich schreiben: „Wenn Frauen Frauen lieben, kommt es oft zur Katastrophe.“ Das traue sich heute kein ernstzunehmendes Medium mehr, sagt die ehemalige WDR-Redakteurin und Fernsehmoderatorin Dr. Inge von Bönninghausen. „Das besagt aber nicht, dass solche Überschriften nicht auch heute noch gedacht werden“, so Bönninghausen weiter. In diesem Jahr startete dasselbe Boulevardblatt eine regelrechte Schmutzkampagne gegen den DSDS-Moderator Marco Schreyl, nachdem Thomas Lückerath in seinem Artikel „Schwule vor der Kamera: Die verlorene Generation“ offen über die Homosexualität Schreyls schrieb.

Auf die Frage der Podiums-Moderatorin Angela Gobelin von „NDR Info“, was er sich von den KollegInnen wünsche, antwortete Axel Bach: „Mich langweilt es, wenn JournalistInnen vor allen Dingen während der CSD-Saison über Lesben und Schwule schreiben.“ Lesben und Schwule seien Teil dieser Welt, deshalb sollten sie auch Teil jeder Berichterstattung sein. Axel Bach: „Wenn fünf bis zehn Prozent der Menschen homo- oder bisexuell sind, dann sollten auch ebenso viele ProtagonistInnen in Beiträgen homo- oder bisexuell sein – einfach so; ohne Anlass.“

Aber selbst wenn Journalisten „wohlwollend“ über Lesben und Schwule berichten, passieren Textunfälle wie das ungelenke „Homosexuelle und Lesben“ – gerade so, als seien nur Männer homosexuell. Der BLSJ hat ein Merkblatt für Journalistinnen und Journalisten herausgebracht, das die häufigsten Irrtümer und sprachlichen Missgeschicke der Berichterstattung aufgreift: „Schöner schreiben über Lesben und Schwule – 8 Beispiele aus der journalistischen Praxis“.

Zum Schluss der Veranstaltung stellte Axel Bach fünf Thesen zur Diskussion:

  1. Lesbisch-schwule Themen sind Fachthemen – genauso wie Wissenschaft, Reisen und Sport.
  2. Homosexuelle JournalistInnen schreiben nicht per se besser, kreativer oder korrekter über Lesben und Schwule als heterosexuelle – häufig jedoch schon.
  3. Wohlmeinende heterosexuelle JournalistInnen haben zu oft die Schere der Politischen Korrektheit im Kopf: „Darf man das schreiben?“
  4. Heterosexuelle JournalistInnen vermitteln über die Auswahl der ProtagonistInnen ein verzerrtes Bild der „Wirklichkeit“. Nicht alle Lesben und Schwulen wollen „heiraten“, Kinder kriegen, von Gott geliebt werden oder zur Bundeswehr. Wahrscheinlich hat ein Großteil einen anderen Lebensentwurf.
  5. Beeindruckende Berichterstattung über Schwule und Lesben ist möglich – auch und gerade – von heterosexuellen KollegInnen. Das zeigen immer wieder die für den Felix-Rexhausen-Preis nominierten Beiträge.

Matthias Wege