5 Thesen: Debatte

Erwiderung von Christian Beese

Zunächst mal vielen Dank für die Thesen des Vorstandes. Ich denke, dass in diesen Thesen viel Richtiges steckt, allerdings erscheinen sie mir doch etwas abstrakt und praxisfern. Sie klingen nicht so sehr nach 2012, sondern mehr nach 1999. Damals haben wir die GayCityCom auch deshalb gegründet, um Berichte „zwischen den Magazinen auszutauschen“ und dadurch „eine qualitativ ansprechendere Berichterstattung zu schaffen“. In den Folgejahren hatten GAB, hinnerk, rik und die beiden sergej-Ausgaben einheitliche Titelbilder und Titelstorys. Und dabei waren das noch die goldenen Zeiten mit vielen Markenartikler-Anzeigen wie Jacobs und zahlreichen Zigaretten-Werbungen. Aber die Zeiten sind schwieriger geworden. Der gesamte Zeitschriftenmarkt muss heute 50 Prozent mehr Aufwand betreiben, um den gleichen Umsatz zu erreichen, das gilt auch für die Szenepresse. Wenn die Kombination blu-EXIT-GAB-rik also 2012 zu dem Modell von 1999 zurückkehrt und möglichst viele Synergieeffekte im überregionalen Bereich nutzt, so ist dies ebenso notwendig wie sinnvoll. Dass dabei vielleicht nicht immer das redaktionelle Niveau von damals erreicht wird, liegt eindeutig daran, dass zur Verpflichtung von sehr guten Autoren nicht mehr genug Geld verdient wird.
Ich möchte deshalb den Thesen des Vorstandes ein paar zeitgemäße Thesen entgegenstellen.

1. Alle Blätter, deren journalistischer Anspruch höher war als der Durchschnitt, sind gescheitert. Das reicht von der Millionenpleite der Queer bis zum hinnerk, der in der alten Firmierung Schulden von mehreren Hunderttausend Euro hinterlassen hat und nur von neuen Eigentümern mit anderem Konzept gerettet wurde. Auch Kaufmagazine von Magnus über Vary und G-Mag bis Front sind reihenweise gescheitert. Deshalb die

These 1: Schwule Magazine mit hohem journalistischem Anspruch lassen sich nicht wirtschaftlich betreiben.

 

2. Soll man es deshalb lassen? Nein, die Community braucht Informationsquellen und Angebote, die ihnen Identifikationsmöglichkeiten vorstellen. Insoweit ist die erste These des BLSJ richtig. Deshalb nenne ich die

These 2: Schwule Magazine mit etwas geringerem journalistischem Anspruch sind besser als gar keine.

 

3. Alle Medien müssen bei der Frage, wie viel sie für die Redaktion ausgeben können, immer darauf achten, wie viel sie einnehmen. Wenn die Einnahmen keine großen Sprünge zulassen, dann helfen akademische Forderungen nach besserer Bezahlung nicht weiter. Ich glaube an

These 3: Schwule Magazine, die ihre Mitarbeiter nach DJV-Maßstäben bezahlen würden, wären schnell pleite.

 

4. Viele Medien, nicht nur schwule Printmagazine, überleben auch mit Hilfe von PR-Beiträgen, um Werbekunden zufriedenzustellen. Dies muss auch gar nicht störend sein, wenn auf diese Weise Informationen dargeboten werden, die die Leser tatsächlich interessieren. Dazu die

These 4: Es ist besser, schwule Magazine mit PR-Artikeln zu haben als gar keine schwulen Magazine.

 

5. Nach der (bescheidenen) Leserforschung der schwulen Magazine gehören Terminkalender, Partytipps und Partybilder zu den meistgelesenen Seiten. Man sollte sich also nicht der Illusion hingeben, dass man Leser durch gut geschriebene Artikel zu politischen und gesellschaftlichen Themen tatsächlich dazu bringen könnte, diese zu lesen. Wenn dem wirklich so wäre, dann würden die Magazinmacher diese Seiten ausbauen, weil sie ihren Anzeigenkunden dann berichten könnten, dass diese intensiv gelesen werden und Anzeigen deshalb dort geschaltet werden sollten. Tatsächlich interessiert sich nur eine kleine Minderheit für diese Themen. Dies hat natürlich mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu mehr Hedonismus und mehr Egoismus zu tun. Es ist aber auch die Antwort darauf, dass wir alle mit immer mehr Informationen zugeschüttet werden und gezwungen sind auszuwählen. Dazu

These 5: Lifestylige Themen sind das, was die Leser weit überwiegend lesen wollen.

 

6. Das Scheitern der Kaufmagazine hat auch damit zu tun, dass sich die Schwulen in Deutschland seit über zwanzig Jahren daran gewöhnt haben, dass sie ihre Magazine kostenlos bekommen. Dadurch ist eine Umsonst-Mentalität gefördert worden, die sich nicht mehr ändern lässt und gegen die sich neue Titel nicht durchsetzen konnten. Nur die langjährig etablierten Titel Du&Ich und Männer haben bisher überlebt, doch auch hier mit rückläufigen Auflagen. Zumindest Männer wäre ohne die zusätzliche Funktion als Marketinginstrument für andere Publikationen des Bruno Gmünder Verlages nicht überlebensfähig. Deshalb spitze ich etwas zu für die

These 6: Es ist unmöglich, im schwulen Printmarkt mit kostenpflichtigen Angeboten Geld zu verdienen.

 

Es wäre interessant, wenn der BLSJ nunmehr den Horizont erweitern würde und darüber diskutieren würde, ob sich eine bessere Zukunft bei anderen Medien ergeben könnte. Die Pleite von Timm TV macht nicht gerade Mut in Richtung Fernsehen, aber dieses Konzept war viel zu ehrgeizig, viele Nummern zu groß geplant und viel zu dilettantisch umgesetzt. Kann schwules TV funktionieren, wenn man es richtig macht? Es gibt so manch interessanten Ansatz von Internet-TV – kann daraus mehr werden? Reden wir auch über schwul-lesbische Radioprogramme: Muss es immer nur Musik sein? Werden die vom BLSJ eingeforderten Themen wie „gesellschaftliche und ökonomische Probleme und Benachteiligungen“ vielleicht in Zukunft vor allem von Sendungen im Bürgerradio abgedeckt werden müssen?
Und was ist im Internet möglich? Das Portal queer.de behauptet sich seit zehn Jahren, zwar auch mit Hungerlöhnen, aber durchaus mit Qualität, wenn man von mancher Polemik absieht. Was bedeutet die mediale Zersplitterung im Internet überhaupt für den Zusammenhalt der Community?
Die medienwirtschaftliche Diskussion in Deutschland und darüber hinaus beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit der Frage, wie Zeitungen und Zeitschriften im Netz Geld verdienen könnten. Diese Diskussion könnte man im Hinblick auf Schwule und Lesben als Zielgruppe führen. Sind wir in der Lage, hier der Gratis-Kultur zu entkommen oder ist das bei uns noch viel schwieriger als im übrigen Medienmarkt? In diesen Feldern könnte der BLSJ beim nächsten Mal einige zeitgemäßere Thesen aufstellen.

Viele Grüße
Christian Beese
(ehemaliger Verleger von rik, EXIT und GAB)

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