Beitrag von Eckard Kipping
 

Drei Leben in Berlin: "Patrick Noe"
veröffentlicht im Berliner "Tagesspiegel" (10.10.2003)

 

Geb. 1966
Im Keller, aus Lautsprechern leise Technomusik. Safe oder unsafe - hab' dich doch nicht so.
Patrick Noe

Links "ruhet in Gott unser theurer Gatte und Vater", rechts liegt "Oberstleutnant a.D.", in ihrer Mitte roter Granit, sein Grabstein in Form eines Teddybären, schwul durch und durch: Patrick Noe.

Alter Friedhof Schöneberg. Die Trauergemeinde ausnahmslos männlich, Mitte dreißig, kahl geschoren. Ganz in schwarzem, glänzendem Leder oder rustikal im Holzfällerhemd und Jeans. Bunt gemischte Schwulenszene Nollendorfplatz. Kleidervorschrift: "Zieht Euch an, wie Patrick Euch kannte!"

Der feierliche Einzug der Urne in die Kapelle. Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen. Einer vornweg streut Rosenblätter wie bei einer Hochzeit. Musik: "Für mich soll's rote Rosen regnen." Beim Vaterunser fassen sich alle an den Händen. Die Urne, eine blaue Kugel, verziert mit goldener Sonne, Mond und Sternen, wird aufgebahrt vor dem Altar auf einer lang herunter hängenden, sich auf dem Boden der Kapelle hinziehenden Regenbogenfahne. Es gibt zwei Pastoren: in Schwarz die Vertreterin der Evangelischen, in weiß der Vertreter der Katholischen Kirche. "Des besseren Kontrastes der Fotos wegen bat ich sie, sich nicht gleichfarbig zu kleiden", sagt Ingo, Patricks spezieller Freund, der sich um das Zeremoniell gekümmert hat. "Weiß ich, ob Gott evangelisch oder katholisch ist. Patrick war aus der Kirche ausgetreten. Wir wollten auf Nummer sicher gehen und haben beide Konfessionen berücksichtigt. Da kann nichts schief gehen."

Ingo bittet die beiden Geistlichen, sich das Regenbogenemblem an den Talar zu stecken. Die Pastorin wehrt ab: "Das ist mein Amtsgewand, daran stecke ich nichts." Pater Peter nimmt sie beiseite: "Ach Dorothea, lass uns eine Ausnahme machen."

Der Trauerzug schreitet vorüber am Bronze-Mahnmal der "gefallenen Kameraden beider Weltkriege". Musik: "Die Schlampen sind müde."

Patricks Freunde haben eine Gemeinschaftsgrabstelle gekauft. Andere aus der Szene, die davon gehört haben, sind an den Nachbargräbern interessiert. "Hier soll eine schwule Ecke entstehen", sagt Ingo.

Großzügig schauen die Friedhofsverwalter weg, als Patricks Freunde ihm seinen Teddybären ins Urnengrab legen, das Foto seiner Mutter und sein Lieblings-T-Shirt.

Eine Großzügigkeit, die ihnen auf anderen Friedhöfen verwehrt wurde. "Musik macht bei uns die Orgel und Extrawünsche gibt es nicht. Wir haben das Hausrecht!"

"Die Scheune", Motzstraße, Patricks zweites Zuhause. Der nächtliche Besucher vor verschlossener Tür erscheint auf dem Monitor am Tresen und wird auf Knopfdruck eingelassen in eine andere Welt. Zwei hübsche Barkeeper begrüßen jeden Gast, den Stammgast mit Namen, Handschlag oder Kuss auf den Mund. Männer um den Tresen, im Vorraum schauen, warten. Filme werden gezeigt: ausgelebte schwule Phantasie. Das Hinterzimmer ist abgedunkelt. Herzstück ist der Billardtisch in der Mitte des Raumes. Er ist mit einer riesigen, schwarz glänzenden Lederhaut verhängt. Um den Billardtisch herum stehen an den Wänden gelehnt oder sitzen auf Barhockern Männer. Viel Leder, vereinzelt Gummi, Uniform, nackte Haut oder Jeans und Turnschuhe, ganz bieder. Jedermann ist gut sichtbar aufgestellt. Schauen, wer kommt, reden, warten. "Auf dem Billardtisch wird alles gemacht außer Billardspielen", sagt Ingo und lächelt. "Die anderen stehen dabei, schauen zu. Manchmal macht einer mit oder mehrere, wie es sich so ergibt. Hier ist es schon heiß hergegangen."

Die Treppe runter in den Keller, vorbei an denen, die an den Wänden lehnen und schauen und einem mitunter folgen. Die Dunkelheit nimmt zu. Kahles, unverputztes Mauerwerk, Kellernischen. Ab und zu wird eine Gestalt sichtbar in fahlem Licht. Beim Durchgehen durch den "Darkroom" die Erinnerung an eine Fahrt in der Geisterbahn. Plötzlich aus dem Dunkel heraustretende Gestalten. Eine Hand, die nach einem greift. Wer sie nicht will, schiebt sie weg, und sie zieht sich ins Dunkel zurück. "Hier ist der Sling", sagt Ingo und zeigt in eine Kellernische. Ein Mann schwebt hüfthoch liegend in der Luft, aufgehängt an Ketten. Unbekleidet steht er zur freien Verfügung. Tiefer geht es in das Kellerlabyrinth. Die Dunkelheit ist absolut.

Aus Lautsprechern leise Technomusik. "Hier weiß man nicht", sagt Ingo, "wen man vor sich hat und wen in sich."

"Die Scheune", Patricks Welt, Nacht für Nacht besuchte er sie, wann immer er konnte.

Er kam aus Speyer, seine Mutter starb früh an einem Herzfehler, den sie ihm weiter vererbte. Der Vater folgte ihr mit Hilfe von Alkohol. Patricks zwei Brüder zählen zu den Drogentoten, die Schwester war unauffindbar verschwunden. Mit dieser Familie hatte Patrick gebrochen, neben ihr auf dem Friedhof zu enden, war für ihn unvorstellbar.

Er hat sich hochgearbeitet, wurde kaufmännischer Angestellter, verdiente gutes Geld. Im Leben der Aktive, war Patrick Noe in der Liebe ein Passiver, trug als Erkennungszeichen ein Lederarmband rechts. Er kam nach Berlin, als er schon HIV positiv war. Arbeitsunfähig lebte er von der Sozialhilfe. Er fand schnell in die Schwulenszene, sein neues Zuhause wurde die Scheune. Konnte er mal wieder das Krankenhaus verlassen, war der direkte Weg in die Szene. "Schlafen kann ich, wenn ich tot bin." Die Nächte durchmachen, tagsüber in den Cafés mit den Freunden, warten auf die Nacht. Sex auf Teufel komm' raus. Safe oder unsafe - hab' dich doch nicht so. Spiel mir das Lied vom Tod.

Patrick sagte: Es kommt nicht darauf an, dem Leben möglichst viele Jahre zu geben, es kommt darauf an, den Jahren möglichst viel Leben zu geben.

Nach der Urnenbeisetzung begibt sich die Trauergemeinde zum "Leichenschmaus" in die Scheune. Auf dem Billardtisch ist das Büfett aufgebaut. Der Darkroom ist geschlossen. Die Trauerfeier dauert bis acht, dann wird aufgeräumt. Um neun beginnt der normale Betrieb.

Eckard Kipping

(mit freundlicher Genehmigung des Autors)

 
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