Bericht der Jury 2003

Aus der Arbeit der Jury zum Felix-Rexhausen-Preis 2003

Wie jedes Jahr an einem Samstag in Köln: Die siebenköpfige Jury wühlt sich durch einen Stapel von Beiträgen; allesamt Bewerber um den Felix-Rexhausen-Preis 2003.
Hierzu einige Anmerkungen aus Sicht der Jury:

Manche Einsender preisen ihr Werk im Anschreiben an wie saures Bier. Sie befürchten, wir würden die Qualität ihrer Texte nicht erkennen. Mitunter haben sie Recht. "Warum dieser Text für diesen Preis?" schreibt ein Einsender und gibt die Antwort im Begleitschreiben gleich selbst: "Weil er das Verhältnis von Heterosexuellen und Homosexuellen auf charmant-satirische Weise dokumentiert."

Ein anderer lobt: "In meinem Beitrag spiegelt sich der Zeitgeist einer neuen schwul/lesbischen Generation wieder: und zwar einfacher Textaufbau, ein paar bekannte Promi-Namen und vor allem ein geringer politischer Anteil, da der 'junge Leser' als Zielgruppe nicht überfordert werden will."
Wir wollen das glauben.

"Und das ist gut so." Wowereits Coming-out-Seufzer wird immer noch gerne zitiert, vor allem am Ende eines Beitrags. Wir meinen: Der Ausspruch sollte für drei Jahre unter Quarantäne; Journalisten, die ihn noch ungebrochen verwenden, ebenso.

Aus der Süddeutschen Zeitung erfuhren wir, dass Köln die Stadt der Triebe ist - also mitnichten Berlin. Und der Spiegel erfreute wie immer mit professionell gemachten Überschriften. Ein britisches Unternehmen bietet deutschen Lesben Spendersamen an. Der Textchef fand hierfür die Schlagzeile: "Sperma für Heimwerkerin".

Etwas ratlos gemacht hat uns das Portrait einer 21-jährigen Lesbe im Schwäbischen; immerhin erschienen in Miss Young, dem Jugendableger von BRIGITTE. Der Artikel vermittelt unserer Meinung nach ein eher deprimierendes Fazit vom lesbischen Leben in der Provinz, während die Autorin hingegen den Eindruck erweckt, wie viel Toleranz dort schon eingekehrt ist. Dabei sind die Diskriminierungen, unten denen die Lesbe und ihre Freundin leiden, doch offensichtlich. Prädikat: Journalismus mit reaktionären Untertönen.

Besonders verärgert haben uns die Beiträge einer Wissenschaftsjournalistin und promovierten Psychologin, die sogar in "Psychologie heute" schreiben darf:
"Unterstützung durch andere zu erhalten, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Von ganz besonderer Bedeutung ist ein unterstützendes Umfeld aber für alle diejenigen, die von der 'Norm' abweichen, beispielweise durch unkonventionelle Lebensweisen, Behinderungen, äußerliche Auffälligkeiten oder die sexuelle Orientierung. Sie sind noch mehr als 'Durchschnittsmenschen' auf Verständnis, Toleranz und Wohlwollen angewiesen, um sich zu öffnen und wohl zu fühlen."
So schrieb man in den 60er Jahren über Schwule und Lesben. Hinter dem Deckmäntelchen von Aufklärung und Verständnis lauern Vorbehalte, Vorurteile, Denunzierungen. Hierfür eine extra saure Zitrone als Zusatzpreis.

Der Chefredakteur eines Fachmagazins für Altenpflege glaubte, dass es für eine Bewerbung ausreicht, wenn in seinem Editorial zweimal das Wort schwul und einmal das Wort Toleranz auftaucht. Nein, es reicht nicht aus. Dabei sitzt der Chefredakteur an einer goldenen Quelle. Schwule und Lesben in der Altenpflege als Patientinnen und Patienten und als Pflegerinnen und Pfleger, das wäre ein spannendes und ergiebiges Thema. Einen Beitrag oder gar ein Themenheft darüber wünschen wir uns für das nächste Jahr. Engagierten Lokalredakteuren gelingt es immer wieder, schwul-lesbische Themen in überzeugender Form aufzubereiten; so etwa im Wiesbadener Kurier. Eine ganze Seite zum Thema Homo-Ehe und kirchliche Segnung: ein sorgfältig recherchierter Bericht, eine anschauliche Reportage und ein klug geschriebener Kommentar. Berücksichtigt man die Rahmenbedingungen in Lokalredaktionen - so glauben wir -, dass dies ein sehr positives Beispiel ist.

Dass die taz wie immer ausführlich und intelligent über schwul-lesbisches Leben in Deutschland und in der Welt berichtet, ja daran haben wir uns schon gewöhnt. Wir möchten die taz dafür ausdrücklich loben - auch wenn es in diesem Jahr für eine Nominierung nicht reichte.

Besonders gefreut hat uns - neben den nominierten Beiträgen - eine Dokumentation des Südwestrundfunks über Analphabeten (Reinhart Brüning: Die Spät-Leser), von denen es in Deutschland übrigens vier Millionen gibt. Unter den vorgestellten Analphabeten befindet sich auch ein offen schwul lebender Mann. Sein Schwulsein wird nicht eigens thematisiert, aber wie selbstverständlich immer wieder gezeigt, etwa wenn er mit seinem Freund lesen übt.

Tja, wenn lesbisches und schwules Leben in den deutschen Medien immer so unvoreingenommen gezeigt würde, dann wäre der Felix-Rexhausen-Preis praktisch überflüssig. Aber so weit sind wir leider noch lange nicht.

für die Jury:
Dr. Jürgen Bräunlein, Berlin

 
PfeilGrafik Pressemitteilung
PfeilGrafik Laudatio Sonderpreis 2003
PfeilGrafik Nominierungen 2003
PfeilGrafik "Papa liebt einen Mann" - siebenminütiger Film-Zusammenschnitt (2 MB)
PfeilGrafik "Papa liebt einen Mann" - siebenminütiger Film-Zusammenschnitt (14 MB)

Felix-Rexhausen-Preis
© 2003: BLSJ e.V.