Homosexuelle Promis, schweigende Medien.
Dürfen Journalisten Politiker outen?
BLSJ-Podiumsdiskussion bei der Jahreskonferenz des Vereins Netzwerk Recherche
Das hatte es in den deutschen Medien schon lange nicht mehr gegeben: Die taz outete im vergangenen Sommer Bundesumweltminister Altmaier als schwul. Viele Kollegen wussten nicht so recht, wie sie darauf reagieren sollten. taz-Chefredakteurin Ines Pohl ließ eine Kolumne von Jan Feddersen, in der dieser auf die mögliche sexuelle Orientierung Altmaiers anspielte, im Internet auf taz.de mit Hinweis auf die Privatsphäre Altmaiers löschen. Gut 20 Jahre nach den spektakulären Outings auf dem „Heißen Stuhl“ von RTL fragten sich viele: Darf man das? Wie relevant ist die sexuelle Orientierung eines Politikers? Wie politisch ist das Private heute noch? Hatte Peter Altmaier nicht selbst schon mehrfach seine Wohnzimmertür für Reporter geöffnet und Homestorys zugelassen? Und gibt es einen Unterschied in der Behandlung des Privatlebens zwischen Hetero- und Homosexuellen?
Der BLSJ hat bei der Jahreskonferenz des Vereins Netzwerk Recherche im Juni 2013 in Hamburg eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema veranstaltet. TeilnehmerInnen:
- Jan Feddersen, taz-Redakteur
- Gudrun Fertig, Verlegerin „Siegessäule“, „L-Mag“, „Du&ich“
- Stefan Niggemeier, Medienjournalist
- Ines Pohl, Chefredakteurin taz
- Lutz Tillmanns, Geschäftsführer Deutscher Presserat
Martin Munz, BLSJ-Vorstandsmitglied: „Wir freuen uns, dass wir dieses Podium so prominent besetzen konnten und hoffen, dass auch viele Heteros zuhören werden. Wir sind gespannt, wie beispielsweise der Deutsche Presserat seine Kritik an der taz-Berichterstattung begründet.“
Ein Rückblick auf die Veranstaltung
von Wolfgang Krömer, freier Journalist
Jan Feddersen argumentierte, dass er Altmaier nicht geoutet habe, er habe lediglich auf dessen „verschwurbelten“ Satz in einer Homestory der „Bild am Sonntag“ mit Fragen reagiert. Dass Altmaier ein Konservativer und Single sei, müsse „scheinbar in der Bild-Zeitung erläutert und entschuldigt werden“, sagte Jan Feddersen. Sein Anliegen sei es, diesen Diskurs präzise zu beschreiben.
Ines Pohl forderte ein, Grundregeln zu beachten. Die sexuelle Orientierung müsse Privatsache bleiben, außerdem gebe es keine definitiven Beweise, dass Altmaier schwul sei. Was ihr aber vollends widerstrebe sei das Vorgehen der „Bild am Sonntag“: Mit einer „taz“-Kolumne des Autoren Elmar Kraushaar, in der Altmaier geoutet wurde, in der Hand seien die Redakteure bei Altmaier erschienen und hätten erpresserisch gefragt, ob das stimme – ob er schwul sei. Damit wolle sie nichts zu tun haben, deswegen die öffentliche Entschuldigung.
Lutz Tillmanns vom Deutschen Presserat betonte, dass der Umstand, dass der Presserat in der Feddersen-Kolumne einen Verstoß gegen des Pressekodex sah, zwar viel Beachtung gefunden habe, dass er andererseits beim Presserat selbst nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe. Deswegen habe es auch keine Rüge gegeben. Zwar habe Jan Feddersen an der Stelle weitergedreht, die im „BamS“-Artikel angelegt war. Trotzdem habe er damit die Persönlichkeitsrechte von Altmaier verletzt.
Stefan Niggemeier kritisierte diese Einschätzung, denn dann bleibe Schwulsein in der Tabuzone, hätten Homosexuelle keine Chance, eine Selbstverständlichkeit zu erreichen.
Gudrun Fertig sieht in der Entscheidung des Presserats gar eine Diskriminierung von Lesben und Schwulen, denn über Schwul- und Lesbischsein müsse geredet werden dürfen. Deswegen hat „L-Mag“ keine Sportlerinnen-Interviews zur Frauenfußball-Weltmeisterschaft gemacht, weil sie keine Pseudo-Interviews über Hobbys wie Lesen oder Reiten führen wollte. Fakt sei: 80 Prozent der Frauenfußballerinen seien lesbisch. Das müsse journalistisch aufbereitet werden. Der DFB habe zu jener Zeit das genaue Gegenteil erreichen wollen, nämlich alles Lesbische zu verstecken. So etwas könne L-Mag aber nicht ihren Leserinnen anbieten.
Die Diskussion war bis zum Ende engagiert und mit Herzblut vorgetragen, und es waren so viele Zuschauer gekommen, dass viele auf dem Fußboden Platz nehmen mussten. Und alle sind bis zum Ende geblieben. Moderator dieser Runde war BLSJ-Vorstandsmitglied Martin Munz. Bundesumweltminister Peter Altmaier ist auch eingeladen worden, hatte aber abgesagt.
Ein Bericht von Queer.de über die Veranstaltung
Materialien zum Thema
Outings in der taz
- Das indirekte Outing, 12.06.2012
- Das direkte Outing, 10.07.2012
- Ines Pohls Entschuldigung anstelle der vermeintlich outenden Kolumne, 16.07.2012
Berichterstattung über Peter Altmaier
Reaktionen auf Rückzug der Kolumne
- Stefan Niggemeier auf seinem Blog
- Micha Schulze auf Queer.de
- Jan Fleischhauer auf Spiegel Online
- Der BLSJ zur Reaktion des Deutschen Presserats
Jan Feddersen
Jahrgang 1957 und aufgewachsen in Hamburg, lebt in Berlin. Nach dem Studium an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik volontierte er bei der taz und war Redakteur der „Zeit“ in Hamburg. Freie Mitarbeit für „Spiegel“, Stern“, die „Siegessäule“, „Männer“ und den „Merkur – Zeitschrift für europäisches Denken“. Freie Mitarbeit für den NDR, bloggt bei diesem für Eurovision.de. Seit 2009 bei der taz Redakteur für besondere Aufgaben sowie Kurator des taz.lab. Mehrere Bücher und Beiträge, vor allem zu vergangenheitspolitischen und poptheoretischen Fragen.
Lutz Tillmanns
Jahrgang 1956, Rechtsanwalt und seit 1992 Geschäftsführer des Deutschen Presserats, der Freiwilligen Selbstkontrolle der Printmedien. Seit Juli 2009 in
Berlin. Studium der Rechtswissenschaften, Neueren Geschichte und Musikwissenschaft in Köln, Lausanne und Bonn. Juristisches Referendariat in Braunschweig, Speyer, Düsseldorf und Köln mit besonderer Ausrichtung im Öffentlichen Recht und Medienrecht. Wissenschaftliche Tätigkeit beim Westdeutschen Rundfunk und Assistent an der Universität Bonn, Juristische Fakultät. Von 1987 bis 1991 Justiziar beim Auslandsrundfunk Deutsche Welle in Köln. Von 2003 bis 2007 Lehrbeauftragter für Presserecht und Presseethik an der Universität Mainz, Mainzer Medieninstitut. Diverse Veröffentlichungen zu den Themen Rundfunk- und Presserecht, Medienethik und Journalismus.
Stefan Niggemeier
Jahrgang 1969, Absolvent Deutsche Journalistenschule München, Stationen: SZ, werben & verkaufen, Kress Report, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, BILDblog, Der Spiegel, ab Juni: „Tagesschaum“ mit Friedrich Küppersbusch (WDR). Ein ausführlicher Lebenslauf findet sich hier.
Ines Pohl
Jahrgang 1967, studierte Germanistik und Skandinavistik in Göttingen und begann in den 1990er Jahren für Zeitungen und Hörfunksender als freie Journalistin zu arbeiten. Sie volontierte bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen und war dort zuletzt Ressortleiterin Politik, anschließend Korrespondentin in Berlin. 2009 wurde sie Chefredakteurin der taz.
Gudrun Fertig
Diplom-Volkswirtin, Journalistin, ehemals Redakteurin Siegessäule und später L-MAG, seit Mai 2012 Verlegerin.