Homosexuellen-Milieu

Milieustudien

Kaum entpuppte sich der ermordete Rudolph Moshammer als homosexuell, erging sich die Presse in wilden Spekulationen über anrüchige Milieus. Von der kritisch-reflektierenden Berichterstattung in der taz einmal abgesehen, haben sich die Medien nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Homosexualität, so sollte man meinen, kann in einem Land, in dem Lesben und Schwule sich verpartnern dürfen und Bundesländer regieren oder Ministerposten bekleiden, keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlocken. Doch weit gefehlt. Der gewaltsame Tod von Rudolph Moshammer hat in den Medien, ob seriös oder Boulevard, wieder einmal die niedrigsten Instinkte wachgerüttelt. Die fragile Alltagstoleranz gegenüber wohlanständigen, bürgerlichen Homosexuellen ist der Sensationsgier und dem lüsternen Phantasieren über allerlei anrüchige „Milieus“ gewichen. Kaum ein Medium hat seit der Ermordung von Walter Sedlmayer und Gianni Versace etwas dazugelernt.

Die krude Vorstellung von einem wie auch immer gearteten „Homosexuellenmilieu“ geisterte seit Bekanntwerden der Ermordung Rudolph Moshammers und der Konkretisierung seiner sexuellen Vorlieben wieder einmal durch die Medien. Begnügte man sich zu Beginn noch mit der versteckten Andeutung, der exaltierte Modemacher sei „unverheiratet“ oder „Junggeselle“, so war schon nach kurzer Zeit klar: „Mosi“, wie er von manchen liebevoll genannt wurde, war homosexuell – ergo musste man den Mörder im „Homosexuellenmilieu“ suchen.

Wer nun wissen möchte, was dieses „Milieu“ eigentlich sein soll und sich die Presseberichte einmal genauer anschaut, findet wenig Erhellendes, schon gar keine Definitionen. Auffallend ist lediglich die ständige Nachbarschaft der Begriffe „Homosexuellenmilieu“ und „Strichermilieu“ oder auch „Stricherszene“, die die Verquickung der beiden „Milieus“, wenn nicht gar Gleichsetzung assoziiert. Die Bildzeitung, das einzige deutsche Blatt, das seine Vorurteile offen und unverblümt abzudrucken pflegt, bringt es schließlich auf den Punkt. Im Beitrag „Ich war einer von seinen Sex-Jungen“ heißt es über den Stricher Francesco: „Francesco war mit zwei Jahren in ein Heim gekommen. Mit elf riss er aus, stieg direkt in die Schwulenszene ein.“ Hier erfolgt die Gleichsetzung Schwulenszene = Stricherszene direkt und ohne Umwege. Die anschaulichen Konsequenzen dieses Lebenswandels liefert Bild auch gleich mit: „Heute ist er 18, ein verlebter, dicklicher Jugendlicher mit unreiner Haut.“

Doch auch der sich im allgemeinen seriös gebende Spiegel haut kräftig in die Milieukerbe: „Und weil die Tat womöglich dahin führen könnte, wo Fahnder vor mehr als 14 Jahren schon das blutige Ende des Volksschauspielers Walter Sedlmayr aufklären wollten: ganz unten ins Milieu der Homosexuellen.“ Gut, dass die Hierarchien mal geklärt wurden und man nun weiß, wo die Homosexuellen beziehungsweise ihr ominöses Milieu anzusiedeln sind.

Merkwürdig übrigens, dass bei Morden oder ungereimten Todesfällen an Nicht-Homosexuellen keineswegs irgendein „Milieu“ bemüht wird. Untersuchte man etwa den mysteriösen Unfall von Lady Di und ihrem Geliebten im „Heterosexuellen-Milieu“? Stellte man Nachforschungen über Jürgen Möllemann an im „Fallschirmspringer-Milieu? Entdeckte man Ungereimtheiten über Hannelore Kohls tragisches Ableben im „Ehefrauen-Milieu?“ Nein, denn es fehlt der Hauch des Anrüchigen und Exotischen, den Homosexualität trotz gewisser gesellschaftlicher Veränderungen für viele noch immer hat. Und wieder ist es die Bild-Zeitung, die das mit ihrer Formulierung auf den Punkt bringt und gleichzeitig den heterosexuellen Voyeurismus bedient: „Sein bizarres Leben zwischen Glanz und Sünd„.

Eins drauf setzt noch die Süddeutsche Zeitung. Dort erfährt man: „Morde im Homosexuellen-Milieu gelten als besonders grausam.“ Nur naive Menschen – wie die Autorin etwa – würden jetzt denken, ein Mord an sich sei besonders grausam. Nein, denn natürlich ist es weitaus grausamer, wie Herr Moshammer erdrosselt zu werden statt wie all die anderen täglich in der Presse Genannten erschossen, erstochen, überfahren oder ähnliches zu werden. Und um die mal eben erfundene, für heterosexuelle Ohren wohlig-schaudernd klingende Milieutheorie nicht beweisen zu müssen, versteckt man sich hinter nichtssagenden Formulierungen wie „gelten als“.

„Vor allem, so steht zu befürchten“, so die Süddeutsche vorneweg, „werden sich die Medien auf den Umstand stürzen, dass Rudolph Moshammer als homosexuell galt (…)“. Eine treffende Selbsterkenntnis, denn danach schwadroniert und spekuliert das Magazin endlos über die Homosexualität im allgemeinen und im besonderen über die Moshammers, über die sie offenbar detaillierte Kenntnisse hatte: „Wenn man all das Inszenierte wegließ, das Toupet, die Maßklamotten, das Chichi, dann blieb nur ein kleiner Münchner Oberbekleider übrig, der über eine interessante sexuelle Variationsbreite verfügte.“ Alle anderen wussten lediglich, dass er homosexuell war, SZ weiß mehr…

Erwartungsgemäß nahmen die meisten Medien den Fall Moshammer zum Anlass, den Fall Sedlmayer (hinter dem man seinerzeit ebenfalls einen „Milieumord“ vermutete) wieder aufzuwärmen und noch einmal genüsslich durchzukauen. Ehrlich zugeben, dass der Anlass und die Gemeinsamkeit die Homosexualität der Opfer war, wollte wohl niemand. Stattdessen konstruierten die Medien absurde Analogien – beide waren prominent, beide starben mit 64, beide standen gerne im Rampenlicht, beide wohnten in München. Das ist, als wenn ein Journalist schreiben würde, der Selbstmord Jürgen Möllemanns erinnere an den von Rex Gildo, denn beide sprangen irgendwo herunter.

Nicht mehr zu überbieten ist der Zynismus hinsichtlich der Schlussfolgerung, dass der gewaltsame Tod Moshammers im Grunde eine logische Konsequenz seines Lebens gewesen wäre. „Klingt es zynisch, wenn man sagt, dass dieser Mann keines natürlichen Todes sterben konnte? Dass einer, der sein Leben als Märchen inszenierte, auch mit seinem Tod eine Vorlage für Spekulationen, Geschichten, Vermutungen bieten musste?“ heuchelt die Süddeutsche. Die Bild-Zeitung versucht, in einem Interview mit dem Experten für ältere Homosexuelle, Wilhelm Wieben, die Zwangsläufigkeit der Gleichung „verklemmt homosexuell bedeutet einsam, einsam führt zum Gang zu Strichern, Gang zu Strichern führt früher oder später zum Tod“ zu belegen. Ähnlich sieht das auch der Spiegel: „Danach suchte er offensichtlich halbseidene Gesellschaft. Für ältere Männer mit dicker Geldbörse seit je eine riskante Sache.“ „Selbst schuld“ hört man überall zwischen den Zeilen heraus, oder doch zumindest ein „er hätte es wissen müssen“.

Homoehe und offen schwule und lesbische PolitikerInnen hin oder her, von Gleichberechtigung oder gar Gleichbehandlung sind Homosexuelle noch weit entfernt – ebenso weit wie die Mehrzahl der Medien von einer fairen, neutralen und vorurteilsfreien Berichterstattung jenseits von Klischees und Sensationsgier.

Ute Roos (BLSJ, 17.01.2005)


Zitierte Artikel:

Der Spiegel, 17.01.2005: Tod eines Münchners
Bild, 14.01.2005: Ich war einer von seinen Sex-Jungen
Bild, 14.01.2005: Sein bizarres Leben zwischen Glanz und Sünd
Süddeutsche Zeitung, 14.01.2005: Ein Gesamtkunstwerk nach Münchner Art