bisherige Preisträger

1999Hamburg
Karin Jurschik und Detlef Grumbach

Karin Jurschik und Detlef Grumbach

Karin Jurschik für ihren Artikel Es gibt nichts, worüber wir nicht reden könnten
(Stadtrevue Köln), Ausgabe November 1998
und Detlef Grumbach für sein Radiofeature Bürger wider Willen – die Schwulen-Bewegung zwischen Revolte und Integration
(Deutschlandfunk, 13. Juni 1998; Manuskript als PDF)

Text von Karin Jurschik

Es gibt nichts, worüber wir nicht reden könnten

Lesben im Fernsehen

Arabella Kiesbauers leicht geöffneter Mund kommt der Kamera ganz nah. Ihre Stimme wird ungewohnt einfühlsam, sie hat etwas Besonderes anzukündigen: das öffentliche Coming Out einer jungen Lesbe live in ihrer Sendung. Frenetischer Applaus.
Was wollen wir mehr? Das Fernsehen widmet sich nicht nur dem Thema Coming Out, sondern inszeniert es auch. Das ist der Höhepunkt einer Entwicklung, die Lesben in Talks, Erotik- oder Lifestylemagazinen und Soaps als fernsehtauglich zeigt. Die jahrelangen Forderungen nach Sichtbarkeit im Medium scheinen in den 90er Jahren erfüllt. Wir sind so frei.

Doch die Sichtbarkeit hat Grenzen: In den Nachrichten, den politischen Magazinen, in Sportsendungen oder langen Features kommen Lesben kaum vor. Produziert das Fernsehen „gewichtige“ Themen, konstruiert es wie im Sportspektakel die „nationale Gemeinschaft“, fallen Lesben aus dem Bild heraus, das die Gesellschaft mittels Medium von sich selbst gewinnt.
In den quotenträchtigen Unterhaltungsprogrammen sieht dies anders aus. Zu fragen bleibt: Seit wann, warum und vor allem wie kommen Lesben gerade in diesen Formaten vor? Was eigentlich ist es, das da sichtbar wird? Und was haben lesbische Zuschauerinnen davon?

Her Story?

Dass Lesben früher im Fernsehen völlig unsichtbar waren, ist ein Vorurteil, das nicht ganz zutrifft. Zwar blieb bis in die 60er Jahre hinein der Bildschirm für Lesben dunkel, doch die 68er Bewegung (und weit spärlicher die Frauenbewegung) entließ ihre Kinder auch ins Fernsehen. Aufklärung war angesagt, und das mit kritisch-emanzipatorischem Anspruch. „Stellvertretend für all die, die aus Angst vor der erbarmungslosen Gesellschaft den Mund nicht aufmachen“, wollte etwa die WDR-Sendung „Das Podium“ schon 1970 über Homosexualität aufklären.
In dieser frühen Form des Talks waren es ExpertInnen, die eher zum als mit dem Publikum sprachen. Dieses machte sich brav Notizen; eine Haltung zum Fernsehen, die uns heute erheitert. Doch das Fernsehen wollte tatsächlich noch etwas sagen. Der Umgang mit Lesben und Schwulen etwa wurde zum Problem einer konservativen Gesellschaft erklärt. Lange Reportagen über „Lesbierinnen in Deutschland“ (1974) oder „Homosexuelle und ihre Eltern“ (1983) stellten ihr Thema zudem in einen historisch-politischen Kontext.
Der trotz aller Aufgeklärtheit paternale Duktus der Bildungsarbeit am Publikum wurde in einer der ersten „Frauensendungen“ des WDR „L.E.S.B.I.S.C.H“ (1982) weitgehend vermieden. Die Filmemacherinnen präsentierten sich als Teil der Szene, über die sie berichteten, sie waren an Innenansichten interessiert und problematisierten Konflikte wie den zwischen Frauen- und Lesbenbewegung. Formuliertes Ziel war nicht bloß Toleranz, sondern Anstoß zur Veränderung einer als patriarchal und heterosexistisch definierten Gesellschaft. Konsequent outete sich die Redakteurin dieses Beitrags, Inge von Bönninghausen, 10 Jahre später in ihrer Sendung „Frauenfragen“.

Zu dieser Zeit hatten sich die Fernsehstrukturen schon grundlegend verändert. Politische Aufklärung über „Frauen- und Lesbenfragen“ wurde – mehr oder weniger ernstgenommen – zunehmend an die wenigen „Frauenmagazine“ delegiert. Seit Einführung des Privatfernsehens Mitte der 80er Jahre ist die Vermarktung oberstes Gebot, dem sich auch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mehr und mehr unterwarfen. Sendeformen wurden verändert, neu eingeführt oder aus den USA übernommen, um dem Werbemarkt gerecht zu werden. Es galt, möglichst zeitdeckend möglichst große Zielgruppen zu erreichen.
Die täglichen Talks, Magazine und Soaps sind billig zu produzieren und werden in kurze Einzelbeiträge oder Sequenzen fragmentiert, zwischen denen sich Werbeblöcke ideal plazieren lassen. „Knallig“, spektakulär und potentiell offen müssen diese Sequenzen sein, damit die ZuschauerInnen bei der Werbung nicht wegzappen.
Erst wurden die Schwulen, dann auch die Lesben auf ihre Kompatibilität hinsichtlich dieser Sendeformen abgeklopft. Zynisch gesagt, hatten sie das unter anderem der „Popularität“ des Themas Aids und der damit verbundenen Diskussion über sexuelle Praktiken zu verdanken. Gleichzeitig rückte die Selbstdarstellung der schwul-lesbischen Bewegung ins Blickfeld, die sich in diverse bild- und talkträchtige Szenen ausdifferenzierte und insgesamt als kaufkräftige Klientel empfahl.

Modern Talking

Es gibt nichts, worüber sich nicht reden ließe. In Zeiten zunehmender Individualisierung und sich auflösender politischer Konzepte und Bewegungen ersetzt vor allem das „Dauergerede“ über die Befindlichkeiten des Einzelnen alte Formen von Öffentlichkeit. „Hilfe, meine Mutter ist lesbisch“ passt dabei umstandslos neben das Talkthema „Ich lass nur dicke Frauen in mein Bett“.
Den Themen, die in Talks „diskutiert“ werden, haftet per se eine gewisse Abseitigkeit an. Dass jemand nur dicke Frauen mag, gehört zur Kategorie der Marotte. Die Mitwirkenden von Talkshows sind zumeist Repräsentanten einer krassen, absonderlichen oder komischen Meinung. Bei der Vorbereitung von Talks werden besonders deftige Statements mit den Gästen immer wieder eingeübt, bis sie auf Stichwort sitzen.
Eingeblendete Bauchbinden verstärken die Typisierung und vereindeutigen, wo Mehrdeutigkeit droht. Jedem Typ wird eine Meinung zugeordnet und umgekehrt. In Bärbel Schäfers Talk „Ihr Lesben habt nur keinen abbekommen“ wird der Typ „Wenn mich eine Lesbe anfasst, raste ich aus“ per Schrifteinblendung mit der Meinung „Lesben sind aufdringlich“ versehen. Kombiniert mit dem Supermacho („Frauen haben 30% weniger Gehirnmasse als Männer“), der Butch und der gutaussehenden, heiratswilligen Lesbe („Frauen sind zärtlicher“) entfaltet sich die durchgeplante Dramaturgie eines Schaukampfes. Talks polarisieren und kategorisieren; die Einblendungen auf den Körper unterstreichen dabei den Charakter des „Beschrieben-Werdens“. Dieser Akt der Kontrolle und der Macht überträgt dem Zuschauer die Rolle des Ringrichters. Stellvertretend für den „gesunden Menschenverstand“ werden „die Normalen“ als imaginäres Publikum konstruiert.

Egal, welcher Meinung, welchem Typ wir zustimmen oder wer am Ende „gewinnt“: entscheidend ist, es befindet sich alles auf demselben Niveau. Talks nivellieren durch Reduktion. Sie negieren Kontext und Komplexität. Auch das Lesbischsein wird zu einer bloßen Spielart menschlicher Marotten und Abseitigkeiten neben unzähligen anderen, die in den Talksendungen täglich vorgeführt werden.
In dieser Form ist die Lesbe tolerierbar und brauchbar. Sie ist reif für die Couch. „Es tut so gut, mit ihnen zu reden, es räumt so unendlich auf mit Ängsten“, sagt auch Pfarrer Fliege. Jede Radikalität, die die Abweichung vom „Normalen“ haben kann (und politisch verstanden auch haben sollte, ging es der Lesbenbewegung doch einmal darum, gerade die Normalität dominanter Gesellschaftsstrukturen zu verändern), geht in diesem Nivellierungsprozess verloren.

Der lesbische Kinder- oder Ehewunsch, der als Modethema durch die Talks geistert, ist in diesem Zusammenhang für das Fernsehen besonders interessant, weil sich gerade im Anpassungsbestreben an die heterosexuelle Normalität der „Sonderfall Lesbe“ umso besser konturieren – und gleichzeitig beruhigend einordnen lässt. Bezeichnenderweise lud sich etwa Alfred Biolek zum Talkthema „Und trotzdem Familie“ ein polygames, ein behindertes und ein lesbisches Paar ins Studio.

Nichts ist unmöglich

Anders als beim Talk zählt in Lifestyle- und Erotikmagazinen wie „Peep“, „Liebe Sünde“ oder „Wa(h)re Liebe“ vor allem der exotisch-erotische, bilderträchtige, den Voyeur/die Voyeurin bedienende Aspekt des Lesbischen. „Peep“ zeigt „lesbische Stripperinnen“ und inszeniert eine Softporno-Version der lesbischen Erfahrung als „Schule der Frauen“, von der Männer nur profitieren können. „Wa(h)re Liebe“ lädt die Produzentin des ersten Lesbenpornos ins Studio (die im übrigen durch fast alle Talk- und Magazinsendungen gereicht wurde). „Liebe Sünde“ interessiert die junge, chice Lesbe, die gut drauf ist und mit Männern keine Probleme hat.

Erotikmagazine stellen im Gegensatz zu den Talkshows nicht das Abseitige aus, sondern versuchen im Gegenteil mit dem Gestus der Liberalität jede sexuelle Spielart zu normalisieren. Sexualität wird zum Warenhauskatalog diverser Praktiken, die letztlich austauschbar sind. Sie benötigen weder eine soziale noch eine individuelle Geschichte, um als Technik angeeignet zu werden. Die dazu nötigen Hilfsmittel der Erotikindustrie werden häufig gleich mitpräsentiert. Der Preis ist heiß.

Die Folie für das tolerante Hier und Jetzt liefert ein verklemmtes „Vorgestern“, das nicht zuletzt auf die Anfänge der Frauen- und Lesbenbewegung zielt. In dem „Liebe Sünde“-Beitrag „Lesben und Heteros“ wird ein junges einem alten Lesbenpaar gegenübergestellt, das die „bitteren Erfahrungen“ mit Männern vertritt. Chices Outfit und Interieur stehen gegen biedere Kleidung und Einrichtung, „Offenheit“ der Beziehung gegen klassische Rollenverteilung. Subtil wird eine Kontinuität lesbischer Geschichte verneint.
Die Junglesben erfinden sich selbst oder besser gesagt: „Liebe Sünde“ konstruiert den formatgerechten Typ der kontextfreien lockeren Lesbe mit erotischer Prosperität. Dasselbe Muster findet sich in dem „Liebe Sünde“-Beitrag „Lesben und One Night Stands“ wieder. „Feucht, fröhlich, freie“ Lesben (Untertitel) stehen der Inszenierung von EMMA-lesenden, ‚verklemmten Zicken‘ gegenüber. Im Off sagt der Kommentator dazu: „Die jüngere Lesbengeneration lässt zunehmend die engen Grenzen feministischer Theorie hinter sich.“ Es muss doch irgendwie Angst machen, dass Frauen denken.

Kinder, Küche, Coming Out – die Soap-Lesbe

Andrea und Billie („Marienhof“, ARD), Vivi und Walter („Hinter Gittern“, RTL), Saskia und Harumi („Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, RTL) oder Tanja und Sonja („Lindenstraße“, WDR) brauchen nichts hinter sich zu lassen außer den Verwicklungen der jeweils letzten Serienfolge. Von Politik, Feminismus und ähnlich hässlichen Dingen haben sie nie etwas gewusst.

Erfunden wurden die Soaps mit ihren Geschichten um Liebe, Eifersucht und andere Katastrophen in den 30er Jahren für das Radio. Ein Seifenproduzent suchte nach einem geeigneten Rahmenprogramm, um für sein Produkt (soap) zu werben. Die potentiell unendliche, offene Struktur der Seifenopern sollte die Hausfrau bei der Stange, sprich am Radio halten.
Heute lässt sich auch mit Lesben Seife verkaufen, das zeigen die Werbespots, mit denen „Lenor“ den „Marienhof“ (ARD) präsentiert. Mehr noch: Kaum eine deutsche Serie, keine Daily Soap kommt mehr ohne Lesben aus, auch die MacherInnen der „Verbotenen Liebe“ haben das jetzt bemerkt.

Und warum auch nicht: die Serienlesbe ist meist so porentief reingewaschen, dass auch die Mütter des intendierten jungen Zielpublikums problemlos zuschauen können. Nahtlos fügen sich die Lesben in die Erzählmuster des Genres:
Eine junge, gutaussehende, erfolgreiche Hetera, gern mit schwieriger Kindheit, etwa einer Missbrauchserfahrung durch den Vater (Marienhof, Hinter Gittern), wird von einer jungen, gutaussehenden, erfolgreichen Lesbe verführt. Problem danach: das Coming Out. Doch die Soap-Welt ist voller Toleranz; gegen die junge Liebe ist höchstens ein Einzelner.
Ist dieser Böse erst einmal überwunden, besteht die Lesbenwelt auch nur noch aus Kinderwunsch, Kochen, Knuddeln (gern schonmal in Spitzenunterwäsche auf dem lesbischen Lotterbett), und den üblichen Eifersuchtsszenen.

Schlagfertige, unangepasste Lesben wie Walter, die zudem noch Witze über Männer reißen, sind in der Serienwelt nur „Hinter Gittern“ möglich. Ist eine wirklich böse wie Sonja aus der „Lindenstraße“ (Drogen, Mordpläne gegen den Mann der Geliebten), hilft nur der plötzliche Serientod.
Überhaupt ist die Haltbarkeit der Lesben in Soaps begrenzt. Vermehren dürfen sie sich nämlich nicht. Die mühsam gezeugten Kinder verenden noch im Mutterleib (Andrea stürzt, Walter bekommt einen Schlag in den Bauch und – stürzt), und die Paare trennen sich. Nicht ungewöhnlich in der Soap, doch kommt es im Falle der Lesben nicht zu neuen Beziehungen im Schneeballsystem: „aus zwei mach vier usw.“ Auch die Serienwelt ist heterosexuell, zu viele Lesben verträgt sie nicht. Zumindest ein Teil des lesbischen Paares muss aus der Serie verschwinden.
Mit Tanja und Andrea blieben in zwei Serien die ehemaligen Heteras zurück. Kein Zufall, meinte die Medienwissenschaftlerin Michaela Krützen während der „Feminale“, denn die Heteras sind offen für Beziehungsanschlüsse nach allen Seiten. Ihre These: „Bi ist einfach praktischer“. Ansonsten werden die Lesben gleich paarweise entsorgt, wie Saskia und Harumi in „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Ein Rausschmiss im Schongang: Die beiden wandern aus nach San Francisco – da muss irgendwo ein Nest sein. Die Soap-Autoren haben ihr Ohr an der Szene, und sie wissen, was politisch korrekt ist.

15 Millionen ZuschauerInnen verfolgen in Deutschland täglich die Serien und Soaps. Sie sehen die nette Lesbe von nebenan, nur ihre Sexualität funktioniert ein bisschen anders. Toleranz ist da leicht. Angesichts vieler junger ZuschauerInnen, die unter anderem Andrea und Billie zum „Paar des Jahres 98“ in einem der zahlreichen Fanmagazine wählten, ist das vielleicht ein Fortschritt. Andererseits ist die Durchschnittslesbe der deutschen Soap so angepasst und unauffällig, dass sich die Frage stellt, ob die erreichte Sichtbarkeit nicht längst in eine neue Unsichtbarkeit umgeschlagen ist.

Happy End?

Eins ist allen beschriebenen Formaten gemein: Die Erfahrungen von Lesben werden individualisiert, Probleme lassen sich folglich auch individuell, zum Beispiel durch etwas mehr Toleranz (zu der das Fernsehen pausenlos aufruft) lösen. Die lesbische „Figur“ (die auch dann inszeniert ist, wenn reale Personen ihre Rolle übernehmen) ist geschichts- und kontextlos.

Wir sind so frei? Gewiss: Befreit von der Last kritischer Gedanken, von Fragen des Zusammenhangs historischer und gegenwärtiger gesellschaftliche Prozesse. Eine Freiheit, die übrigens nicht bedeutet, an den Produktionsmitteln oder den Entscheidungsprozessen der Sendeanstalten zu partizipieren.
Das Fernsehen als „symbolische Agentur der Gesellschaft“ produziert die Ereignisse, Themen und Werte selbst, über die es pausenlos spricht. Es stellt einen Konsens darüber her, was unsere Kultur ausmacht. In diesem Kreislauf wird das potentiell Anstößige, Subversive, Radikale jedes Gegenentwurfs zur dominanten Kultur „geschluckt“. Nicht durch „Ausgrenzung“, sondern im Gegenteil durch Integration.

Als Medium, das Wirklichkeit in spezifischen Formen verarbeitet, kann das Fernsehen keine „realen Bilder“ von Lesben vermitteln. Solange aber Integration und Konsumtion als eines der Hauptinteressen der Szene erscheinen, haben wir vielleicht genau das Fernsehen, das wir verdienen.
Als freie Konsumenten können wir unser eigenes Programm zusammenstellen und zum Beispiel zurück zu Ilona Christen zappen. Ihr Thema nach den lesbischen Müttern: „Ich bin unsterblich.“ Na also, nichts ist unmöglich.

In gekürzter Fassung erschien dieser Text zuerst im Katalog des Feminale-Filmfestivals Köln 1998. Das Festival zeigte eine Filmreihe zum Thema „Lesben im TV“, an deren Organisation ich mitgewirkt habe.
In dieser Fassung erschien der Text zuerst im Kölner Stadtmagazin „Stadtrevue“ (Ausgabe 11/1998).