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Jahrestreffen des „Netzwerk Recherche“

So patzen Journalisten bei Lesben und Schwulen

Fettnäpfchen, Fehler, Fallstricke – BLSJ zeigt Medienschaffenden die größten Sprach-Verirrungen

Markus Bechtold

Markus Bechtold hatte viele Beispiele verunglückter Berichterstattung parat; Foto: Matthias Wege

Es gibt Phrasen, die Textchefs sofort aus den Artikeln streichen, weil sie haarsträubend schräg, falsch oder abgenutzt sind. Doch wenn über Lesben und Schwule berichtet wird, dann tun sich so manche Journalistinnen und Journalisten schwer. Markus Bechtold (evangelisch.de) hat im Rahmen des Jahrestreffens des Netzwerks Recherche zu einer einstündigen Tour durch Fehler, Fallstricke und Fauxpas der Qualitätsmedien eingeladen.

Die Round-Table-Veranstaltung unter dem Titel „Warum so kompliziert …? Die Fettnäpfchen bei der Berichterstattung über Lesben und Schwule“ war bereits die zweite Zusammenarbeit des Bundes Lesbischer und Schwuler JournalistInnen mit dem Netzwerk Recherche und fand am 2. Juni 2012 in Hamburg statt. Gut 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beteiligten sich an der munteren Diskussion von Textbeispielen aus Bild, SZ, Spiegel und anderen. Moderiert wurde die Veranstaltung von BLSJ-Vorstandsmitglied Martin Munz.

Während es bei heterosexuellen Politikerinnen und Politikern üblich ist, auch über das Privatleben zu berichten, galt es lange als Tabu, die private Seite homosexueller Politikerinnen und Politiker zu thematisieren. Stattdessen griffen Journalisten auf nebulöse Umschreibungen wie „eingefleischter Junggeselle“ zurück. Bechtold begrüßte, dass diese Floskel mittlerweile kaum noch verwendet werde. Er forderte die Journalisten aber dazu auf, es gleichwertig unaufgeregt zu handhaben „wie bei heterosexuellen Politikern auch“.

Das kann aber nur in jenen Fällen gelingen, in denen ein Promi offen lesbisch oder schwul lebt. Es falle auf, dass neben all den schwulen Spitzenpolitikern nicht eine einzige lesbische Politikerin ersten Ranges zu finden ist. „Es fehlt noch immer die weibliche Wowereit“, sagte Munz.

Martin Munz und Markus Bechtold beim Jahrestreffen des Netzwerks Recherche

Der große Unterschied: Was ist ein Coming-out und was ist ein Outing? Foto: Matthias Wege

Bechtold erklärte den Unterschied zwischen einem selbstbestimmten Coming-out und einem fremdbestimmten Outing. Beide Begrifflichkeiten würden in der Medienberichterstattung in manchen Fällen verwechselt. „Die Selbstbestimmtheit sollte man Lesben und Schwulen normalerweise nicht nehmen“, sagte Munz. Daher spreche sich der BLSJ allgemein gegen Zwangsoutings aus. „Wenn aber Politikerinnen und Politiker ein konservatives Familienbild propagieren, selbst aber homosexuell sind, dann darf man aus Sicht des BLSJ auf diesen programmatischen Widerspruch durchaus hinweisen, auch mit einem Outing.“

Besonders augenfällig ist die Diskriminierung von Lesben in der Berichterstattung. Artikel über Homosexuelle sind nämlich meist Artikel über Männer. Frauen werden ausgeblendet, das Wort „Lesbe“ bleibt eine echte Rarität. Bestätigt wird dieser Eindruck durch eine Analyse von Elke Amberg (erschienen im Ulrike Helmer-Verlag: „Schön! Stark! Frei! – Wie Lesben in der Presse (nicht) dargestellt werden“). Die Kommunikationswissenschaftlerin kommt nach der Auswertung von 81 Beiträgen mit schwul-lesbischem Bezug zum Ergebnis, dass homosexuelle Themen hauptsächlich Geschichten über Männer sind. „Gilt der Begriff ‚lesbisch‘ immer noch als schmutzig?“, diese Frage warf Bechtold in die Runde – und erntete Bestätigung. „Für mich klingt lesbisch abwertender als schwul“, sagte eine Teilnehmerin. Eine junge Journalistin erzählte von ihren Schwierigkeiten, ein lesbisches Paar für eine Geschichte zu finden. Während sich zahlreiche Männerpaare gemeldet hätten, habe sich kein einziges Frauenpaar zu einem Porträt bereiterklärt. Eine weitere Teilnehmerin erläuterte, Deutschland sei eine männerdominierte Gesellschaft, daher prägten auch Männer das Bild der Homosexuellen.

Als Ausdruck dessen kann der nahezu unverwüstliche Sprachpatzer „Homosexuelle und Lesben“ gelten. „Ich verwende ihn manchmal als Test im Bekanntenkreis: Viele verstehen nicht einmal, was daran falsch ist“, sagt Munz. „Natürlich muss es ‚Schwule und Lesben‘ heißen“, erklärt Bechtold. Ein Grund dieser Verirrung könnte sein, dass umgangssprachlich „der Homo“ eher verbreitet sei als „die Homo“, vermutet eine Teilnehmerin.

Round-Table-Gespräch bei der Jahrestagung des Netzwerks Recherche

Die TeilnehmerInnen trugen mit ihren Erfahrungen kräftig zur Diskussion bei; Foto: Matthias Wege

Scharfe Kritik übte die Runde an dem ebenso häufig in den Medien auftauchenden Begriff „Homosexuellen-Milieu“. Ein vergleichbares „Heterosexuellen-Milieu“ sucht man vergebens, und bisweilen steht es als Synonym für die Stricherszene. Dann kann man das aber auch „einfach so schreiben, wie es ist“, empfahl Bechtold.

Ebenfalls streichen lässt sich das ‚bekennend‘, das vielen Lesben und Schwulen voransteht. „Unterschwellig ist das eine Herabwürdigung“, sagte Bechtold, denn „man bekennt sich zu einer Straftat oder einem Glauben, aber nicht zu seiner sexuellen Orientierung.“ Munz wies darauf hin, dass der Ursprung dieser Formulierung im Paragraph 175 liegt, der Homosexualität in Deutschland unter Strafe stellte. „Früher bekannten sich offen lesbische oder schwule Menschen tatsächlich zu einer Straftat, ob sie das wollten oder nicht.“

„Mit unseren Hinweisen wollen wir als Verband Ratgeber und Dienstleister für viele Kolleginnen und Kollegen sein, die sich beim Texten vielleicht mal unsicher sind“, sagte Munz. Zum Thema „Schöner schreiben über Lesben und Schwule“ hat der BLSJ ein Faltblatt mit wertvollen Tipps für den redaktionellen Alltag veröffentlicht.

Matthias Wege

Das Jahrestreffen des Netzwerk Recherche gilt als bedeutendster Branchentreff in Deutschland. Jährlich nehmen daran rund 600 Journalistinnen und Journalisten teil. Es fand in diesem Jahr am 1. und 2. Juni 2012 in Hamburg statt.

Diesen Beitrag kann man auf den Seiten des Netzwerks Recherche kommentieren.

BLSJ-Faltblatt „Schöner schreiben“