Bericht der Jury 2006

Aus der Arbeit der Jury zum Felix-Rexhausen-Preis 2006

Wie jedes Jahr an einem Samstag in Köln: Die siebenköpfige Jury wühlt sich durch einen Stapel von Beiträgen; allesamt Bewerber um den Felix-Rexhausen-Preis 2006.
Hierzu einige Anmerkungen aus Sicht der Jury:

Das Studium der Einsendungen zum Felix-Rexhausen-Preis stiehlt uns eine Menge Lebenszeit, wir lesen schließlich sorgfältig - aber wir haben auch unsere Freude daran. Dabei ist es eigentlich ganz einfach, die Jury zu überzeugen. Wir möchten einfach nur überrascht werden. Von neuen oder wenigstens etwas anderen Einblicken ins schwul-lesbische Leben. Gut recherchiert und bitteschön nicht einfältig geschrieben.

Der Klassiker seit Gründung des Felix-Rexhausen-Preises ist die Coming-out-Geschichte. Wir hatten sie alle in den letzten Jahren! Den Metzgerssohn in der Pampas, den die schwule Großstadtsauna auf den Geschmack bringt. Die Mutter dreier Kinder, die sich in die Nachbarin verliebt. Den Priester, der plötzlich feststellt, dass er Jungs mehr liebt als Jesus Christus. Gar nicht überrascht hat uns, dass dieses Thema mittlerweile etwas in den Hintergrund gerückt ist. Lesbisch zu sein oder schwul ist selbstverständlicher geworden. Auch der Umgang damit. Zumindest hier in Deutschland. Verantwortungsbewusste Journalistinnen und Journalisten haben ihren Anteil an dieser gesellschaftlichen Entwicklung. Wir haben einen schwulen Hauptstadtbürgermeister. Und wir haben eine lesbische Schauspielerin, die im Fernsehen eine lesbische Kommissarin spielt - und das zur Primetime.

Stimmt es also, wenn der Soziologe Norbert Bolz lästert "Heute ist es sehr viel leichter schwul zu sein, als Kinder und Familie zu haben."?

Nein, es stimmt natürlich nicht. Nicht einmal für Prominente. So wehrt sich der Rennfahrer Ralf Schumacher derzeit juristisch gegen die Behauptung schwul zu sein, wie in einem Motorsport-Fachblatt unterstellt wurde. Die Sache hinterlässt so oder so einen bedenklichen Beigeschmack. Selbst wenn Schumacher heterosexuell sein sollte, zeigt seine maßlose Empörung, wie wenig angesehen und akzeptiert Homosexualität im Formel 1-Gewerbe ist.

Wir wechseln die Sportart, aber nicht das Thema. Und bleiben im Dunklen. Seit Jahren schon jagen investigative Journalisten einem heißen Thema hinterher. Homosexualität im Fußball - Männerliebe in der Bundesliga. Auch wir bekommen pro Jahr mindestens einen Beitrag dazu. Der von diesmal war verdammt gut geschrieben, stilistisch eine Perle. Aber wieder kommt der Autor nicht zu Potte. Außer Gerüchten, Spekulationen und Mauern des Schweigens - "niente"! Das aber würden wir uns wünschen: Dass bei diesem Tabuthema das verklemmte Schweigen durchbrochen und der Homophobie im Fußball endlich zu Leibe gerückt wird.

Enttäuscht war die Jury, dass der vielleicht thematisch interessanteste Beitrag, so weit hinter seinen Möglichkeiten blieb. Unter dem Titel "Lifestyle Aids-Werbung" beschrieb ein Journalist, wie in Schwulenmagazinen Anzeigen der Pharmaindustrie - etwa für Medikamente zur Behandlung von Aids - in dubioser Nachbarschaft zum redaktionellen Teil auftauchen, ja eine offensichtliche Vermischung stattfindet. Leider ging die Recherche nicht in die Tiefe, manches blieb ungeklärt. Zudem hätte sich angeboten, den Fokus zu erweitern. Nicht nur im Fall von Aids, sondern auch bei anderen Krankheiten, gehen Pharmaindustrie und die angeblich so unabhängigen Medien immer häufiger eine verdeckte und gefährliche Partnerschaft ein.

Nicht überrascht hat die Jury, dass wir dieses Jahr mehrmals lesen durften von schwulen Männern, die der Großstadtoberflächlichkeit entflohen, sich den Cowboyhut schnappten und aufs Land zogen, um dort mit Freund, manchmal auch Mutti, Kühe zu melken, Unkraut zu zupfen und ein irgendwie vernünftigeres Leben zu führen. Hier haben der Blockbuster "Brokeback Mountain" und das daran anschließende Marketing ihre Wirkung getan. Überrascht hat uns aber, dass kein Journalist und keine Journalistin auf den Gedanken gekommen ist, das Thema eine Windung weiter zu drehen und uns mit lesbischen Cowgirls bekannt zu machen...

Aufrichtig gefreut hat uns, dass die Journalisten hierzulande in der schwul-lesbischen Berichterstattung immer häufiger über den Tellerrand blicken. Oft natürlich auch, weil es Anlässe gibt. So in diesem Jahr die aufflackernde Schwulenfeindlichkeit an der Regierungsspitze in Polen.

Jede Jurysitzung ist eben eine Berg- und Talfahrt der unterschiedlichsten Empfindungen. Manches tut etwas weh. So die lesbischen Funkenmariechen aus Köln. Das musste durchgestanden werden. Ein anderes Rundfunkfeature operierte mit Extremen: Ein lesbisches Paar hat drei Kinder, hervorgegangen aus den Samenspenden dreier verschiedener Männer. Was so spektakulär anmutete, erwies sich als weitgehend stimmiges Portrait einer Patchwork-Familie. Wir hörten gerne zu.

Und auch das ist eine beglückende Erfahrung, die ich als Jurymitglied immer wieder mache: Bei manchem Beitrag, den man zunächst eher skeptisch bewertet hat, gelangt man später zu einem viel günstigeren Urteil. Dank der Kollegen, die auf Qualitäten aufmerksam machten, die man selbst übersehen hat. Ein kleines Lob für Teamarbeit in der Jury!

für die Jury:
Dr. Jürgen Bräunlein, Berlin

 
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Felix-Rexhausen-Preis
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